Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Gewichtsentwicklung und Gedeihen

Unsere Fachinformationen werden regelmäßig überprüft und ergänzt.
Letzte Aktualisierung dieser Seite: 9/2021

Das Stillmanagement ist entscheidend

Gestillte Säuglinge entwickeln sich weltweit sehr ähnlich, wenn die Bedingungen erfüllt sind, die sie für ein optimales Wachstum benötigen. Entscheidend dafür sind – anders als es oft vermutet wird – nicht die Ernährung oder die Lebensumstände der Mutter, sondern das Stillmanagement, das sich an den Bedürfnissen des Kindes orientiert und sicherstellt, dass das Baby häufig genug und lange genug angelegt wird.

Ein gesundes, reif geborenes Neugeborenes wird normalerweise von selbst mindestens 8 Mal, durchschnittlich eher 10 - 12 Mal in 24 h nach der Brust verlangen. Wenn es daraufhin uneingeschränkt lange stillen kann, in den ersten Tagen und Wochen meist beide Brüste angeboten werden und es korrekt angelegt ist, so dass es effizient saugen und die Brust stimulieren kann, wird die Milchbildung sich adäquat aufbauen und das Kind gut gedeihen.

Sollte ein Neugeborenes sich nicht von selbst häufig genug melden, um gestillt zu werden, oder an der Brust rasch ermüden, kann es notwendig sein, dass die Mutter das Kind regelmäßig weckt und weitere Maßnahmen trifft, um sowohl die ausreichend häufige Stimulation ihrer Brust, die Nahrungsaufnahme des Kindes und das Bedürfnis nach Nähe und Zuwendung sicherzustellen.

Auf dieser Fachseite stellen wir Ihnen wichtige Eckpunkte vor, wie eine adäquate Gewichtsentwicklung und das Gedeihen eines Stillkinds beurteilt und bei Bedarf unterstützt werden kann.

Beurteilungskriterien für das gute Gedeihen eines Stillkinds

  • Beobachtung des Saug- und Trinkverhaltens an der Brust
  • Ausscheidungen des Kindes
  • Gewichtsverlauf
  • Beobachtung des Verhaltens und Entwicklungsstandes des Kindes
  • Lactamedia_00102_Breastfed stool - 6 weeks_high
    © LactaMedia/ Family Larsson-Rosenquist Foundation
  • (c) Hemmelmayr FK 9
    © A. Hemmelmayr

In der Neugeborenen-Phase wird das Stillen initiiert und etabliert. Die großen Veränderungen während der ersten sensiblen Tage erfordern eine differenzierte Beurteilung des Verlaufs. Durch Beobachtung aller oben genannten Kriterien lässt sich bereits ab dem ersten Lebenstag beurteilen, ob die Laktation normal in Gang kommt.

Die ersten Stunden und Tage

Grundlagen des Stillmanagements in den ersten Tagen

  • Mutter und Kind haben sowohl im Kreißsaal als auch in den folgenden Stunden und Tagen ausgiebigen direkten Hautkontakt und Körperkontakt. Lesen Sie dazu ausführlich weiter auf unserer Fachseite → Bonding und Self-Attachment
  • Das Baby hat im Kreißsaal selbst zur Brust gefunden oder hat mit Unterstützung gut an der Brust getrunken. Wo das nicht möglich war, hat es handgewonnenes Kolostrum erhalten (siehe dazu auch unsere Fachseite → Gewinnen von Muttermilch)
  • Das Neugeborene wird bei Stillzeichen frühzeitig und ohne Verzögerung angelegt. Stillzeichen sind z.B. Lecken mit der Zunge, Führen der Händchen zum Mund, suchende Kopfbewegungen, unruhige Laute
  • Mutter und Kind haben eine bequeme Stillposition eingenommen, in den meisten Fällen wird dies das Intuitive Stillen umfassen, ergänzt durch andere Stillpositionen. Lesen Sie dazu weiter auf unserer Fachseite → Anlegen und Positionieren
  • Das Baby erhält in dieser ersten sensiblen Phase keine anderen Sauger oder einen Schnuller. Wenn aus medizinischen Gründen eine Zufütterung notwendig wird, erfolgt diese brustnah oder mit Hilfe von stillfreundlichen Methoden (siehe dazu auch unser → Statement zu Zufütterungsmethoden)
  • Wenn das Kind an der Brust ist, sind Zeichen des Milchtransfers beobachtbar: immer wieder kommt es zu rhythmischem ausdauerndem Saugen und Schlucken, bei einigen Müttern sind an der zweiten Brust Milchtropfen sichtbar, manche Frauen spüren auch den Milchspendereflex als Kribbeln oder Ziehen in der Brust oder spüren Nachwehen/ verstärkten Wochenfluss während des Stillens

Lesen Sie zu diesen Punkten ausführlicher weiter auf unserer Fachseite

Ausscheidungen und Gewicht in den ersten Tagen

  • Innerhalb der ersten 8 Stunden postpartum ist bei gutem Stillmanagement der erste Urin und das erste Mekonium (schwarzer Stuhl) zu erwarten
  • Ab Tag 2 ist bereits sichtbar, dass der Stuhl heller wird; spätestens ab Tag 5 kein Mekonium mehr
  • Spätestens ab Tag 3 ist kein "Ziegelmehlsediment" mehr im Urin vorhanden (rostrote Flecken, die manchmal auftreten können), der Urin ist klar oder blassgelb
  • Ab Tag 3- 4 hat das Neugeborene mindestens 3 Stuhlentleerungen und 5 - 6 schwere nasse Windeln
  • Eine Gewichtsabnahme von bis zu 7% ist physiologisch, der tiefste Punkt wird meist an Tag 3 erreicht
  • Wenn das Kind über 7% an Gewicht verliert, ist eine Überprüfung des Stillmanagements notwendig und es sollten Maßnahmen zur Sicherung des Milchtransfers ergriffen werden (z.B. Brustkompression beim Stillen, Handgewinnung von Kolostrum ergänzend zum Anlegen). Zufütterung ist noch nicht notwendig.
  • Bei einem Gewichtsverlust von mehr als 10% ist in den meisten Fällen die medizinische Indikation zur Zufütterung gegeben. CAVE: bei einigen Kindern kann das Geburtsgewicht durch hohe mütterliche i.v.-Flüssigkeitsgaben peripartal verfälscht sein. Lesen Sie dazu auch unseren → Artikel von 05/2018

Nicht immer gelingt der Stillbeginn reibungslos. Zum Glück stehen uns eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, Mutter und Kind dann so zu unterstützen, dass eine verfrühte Zufütterung ohne zwingende medizinische Indikation vermieden werden kann.
Dazu haben wir ein ausführliches Statement veröffentlicht, das hierzu konkrete Vorschläge macht:
→ Empfehlungen zur Gewichtsentwicklung: Gedeihen eines Stillkindes

Besonderes Augenmerk benötigt die Gruppe der sogenannten "Late preterm"-Babys. Diese Neugeborenen sind gefährdet, in den ersten Tagen und Wochen nicht ausreichend effizient und nicht ausdauernd genug an der Brust zu trinken.
Lesen Sie auf unserer Fachseite mehr zu diesem Thema:

Nach den ersten Tagen, in denen das Stillen an der noch weichen Brust geübt und das wertvolle Kolostrum für das Kind zur Verfügung gestellt wird, setzt ca. an Tag 3 - 5 pp der sogenannte "Milcheinschuss", genauer: die Initiale Brustdrüsenschwellung ein. Die Milchmenge steigt nun rasch an und wird innerhalb der nächsten 1 - 2 Wochen auf die volle Kapazität für die gesamte restliche Stillzeit aufgebaut.

Die ersten Wochen und Monate

Grundlagen des Stillmanagements nach den ersten Tagen

  • Das Baby wird weiterhin ca. 8 - 12x in 24 h gestillt, sobald es frühe Stillzeichen zeigt. Es bleibt dabei ausreichend lange an der Brust, in den ersten Wochen dauern Stillmahlzeiten insgesamt häufig ca. 45 - 60 Minuten
  • In den ersten Wochen werden meist beide Brüste angeboten – nach etablierter Milchbildung kann dies flexibler und nach aktuellem Bedarf von Mutter und Kind gestaltet werden
  • Das Baby zeigt ein aktives Trink- und Saugverhalten: Phasen des nutritiven Saugens (regelmäßiges ausdauerndes Schlucken) wechseln sich mit Phasen des non-nutritiven Saugens ("nuckeln"/ kleine Pausen an der Brust) ab. Beide Phasen sind wichtig für die Etablierung der Milchbildung und sollten nicht eingeschränkt werden
  • Nach der erfolgreichen Etablierung des Stillens und der Milchbildung kann ergänzend bei Bedarf auch ein Schnuller oder andere Hilfsmittel zur Beruhigung des Babys eingeführt werden, sofern es trotzdem weiterhin ausreichend oft Zeit an der Brust verbringt
  • In den ersten Wochen kommt es häufig zu sogenannten Clusterfeeding-Phasen, in denen das Baby in kurzen Abständen kleine Portionen trinken, sich ausruhen und dann wieder weiterstillen möchte. Diese Phasen sind meist in den späten Nachmittags- und frühen Abendstunden besonders ausgeprägt und sind Teil der normalen Entwicklung
  • Mit ca. 3 Monaten haben sich Mutter und Kind meist vollständig eingespielt, die Clusterfeeding-Phasen haben sich abgeschwächt und die meisten Babys stillen nun deutlich effizienter und kürzer als in den ersten Wochen. Die Frequenz von ca. 8 - 12 x in 24 h bleibt jedoch erhalten und ist notwendig, um das ausreichende Gedeihen des Kindes sicherzustellen

Ausscheidungen und Gewicht nach den ersten Tagen

  • Nach der anfänglichen temporären Gewichtsabnahme in den ersten Tagen erreicht das Neugeborene sein Geburtsgewicht spätestens an Tag 10 wieder
  • In den ersten 4 Wochen sind täglich mind. 3 Stuhlentleerungen zu erwarten. Nach dieser Zeit kann ein ausschließlich gestilltes Kind weiterhin mehrmals täglich, aber auch deutlich seltener – bis zu 1x in 14 Tagen – Stuhlgang haben, solange alle anderen Zeichen für ein gutes Gedeihen erfüllt sind
  • Das Baby hat weiterhin täglich mindestens 5 - 6 schwere nasse Windeln
  • Ein gut gestilltes Kind wird auf seiner individuellen Perzentile parallel entlang der WHO-Wachstumsstandards zunehmen. Abweichungen nach unten sind immer ein Zeichen für die Notwendigkeit, das Stillmanagement zu überprüfen
  • Die Tages-Trinkmenge, die ein ausschließlich gestillter Säugling nach voll etablierter Milchbildung zu sich nimmt, bleibt bis zur Einführung der Beikost weitgehend konstant, so dass sich die anfänglich rasante Gewichtszunahme nach und nach verlangsamt
  • Die wöchentliche Gewichtszunahme beträgt in den ersten beiden Monaten 170 - 330 g/ Woche, in den Monaten 2 - 4 sind es 110 - 330 g/ Woche. Die Gewichtszunahme verlangsamt sich danach weiter und in Monat 4 - 6 beträgt sie noch 70 - 140 g/ Woche
  • Bei perzentilenparallelem Wachstum verdoppelt das Kind sein Geburtsgewicht mit ca. 3 - 4 Monaten
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    © M. Gruber
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    © A. Bier

Die WHO-Wachstumsstandards als wichtiges Hilfsmittel

Die WHO-Wachstumsstandards sind das Ergebnis mehrerer großer Längsschnitt-Studien, die in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen sozio-ökonomischen Bedingungen durchgeführt und von der WHO 2006 veröffentlicht wurden. Sie zeigen, dass sich gestillte Säuglinge weltweit nahezu gleich entwickeln, wenn die Mutter gut zum Stillen unterstützt wird und das Stillmanagement wie oben beschrieben erfolgt.

Damit sind die Wachstumskurven sehr gut geeignet, um Still-Hindernisse zu identifizieren: wenn das Wachstum nicht perzentilenparallel erfolgt, ist dies ein Hinweis, das Stillmanagement zu überprüfen und der Mutter kompetente Unterstützung anzubieten.

Die WHO-Perzentilenkurven sind für verschiedene Altersgruppen erhältlich, in der Praxis werden am häufigsten die Kurven für die ersten 6 Monate benöigt.
WHO Wachstumsstandards Perzentilen 0 - 6 Monate: Mädchen
WHO Wachstumsstandards Perzentilen 0 - 6 Monate: Jungen
Weitere Kurven für andere Altersgruppen

  • WHO_boys
    Jungen, 0 - 6 Monate © WHO
  • WHO_girls
    Mädchen, 0 - 6 Monate © WHO

Für die Praxis der Stillberatung hat Márta Guóth-Gumberger, IBCLC, ein sehr empfehlenswertes Buch für Fachkräfte geschrieben: Gewichtsverlauf und Stillen – Dokumentieren, Beurteilen, Begleiten, erschienen im Mabuse-Verlag.
Außerdem stellt sie auf ihrer Webseite hilfreiche Informationen und Materialien zur Verfügung, u.a. detaillierte Videos, die Fachkräften die Beurteilung des Gewichtsverlaufs erleichtern:
Informationsseite für Fachkräfte zum Thema Gewichtsverlauf beim Stillen

Sie hat auch die Software STILLDOK entwickelt, die für die Stillberatung in freier Praxis gut geeignet ist, um den individuellen Gewichtsverlauf eines Kindes genau beurteilen zu können. Informationen dazu finden sich ebenfalls auf ihrer Webseite und in ihrem Buch.

Zusätzlich empfehlenswert:
Artikel "Stillen und Gewichtsentwicklung im Wochenbett – differenziert beurteilen und begleiten"
erschienen in Die Hebamme, September 2021, Georg-Thieme-Verlag

INFORMATIONEN FÜR ELTERN

Für Eltern gibt es zwei empfehlenswerte Informationsblätter, die kostenfrei erhältlich sind:

Informationsblatt "Trinkt mein Baby genug Milch?" von La Leche Liga Deutschland
Handout aus Laktation & Stillen 2/2019: "Gewichtsentwicklung"

Beide Blätter sind auch als gedruckte Version (Abreißblock) im Shop der jeweiligen Organisation käuflich erhältlich.

Was tun, wenn das Kind nicht gut gedeiht?

Wenn Ausscheidungen oder Gewichtsverlauf nicht mit den zu erwartenden Anforderungen für die jeweilige Altergruppe übereinstimmen, wird zunächst das Stillmanagement genau überprüft und optimiert. Dies ist in vielen Fällen bereits ausreichend, um das gute Gedeihen des Kindes sicherzustellen.

In einigen Fällen gestaltet sich die Ursachensuche jedoch schwierig oder es liegen Gründe vor, warum die Mutter tatsächlich nicht genügend Milch bilden kann, um ein ausschließliches Stillen zu erreichen. In diesem Fall wird das Stillen meist durch eine Zufütterung von künstlicher Säuglingsnahrung ergänzt, um das gesunde Gedeihen des Kindes sicherzustellen.

Hier stellen wir Ihnen einige hilfreiche Links vor, die Sie als Fachkraft bei der Beurteilung der Situation sowie der Auswahl von geeigneten Maßnahmen unterstützen:

Artikel aus Laktation & Stillen 2/2021: "Wie zufüttern, um das Stillen zu schützen?" (kostenfrei)

Themenbündel mit mehreren Artikeln zum Thema Gewichtsverlauf, Beurteilung und Maßnahmen, aus verschiedenen Ausgaben der Laktation & Stillen 2019 + 2020 (im Shop von L&S, kostenpflichtig)

Lesen Sie außerdem ausführlich weiter auf unseren folgenden Fachseiten:

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