AAP-Policy Statement zum Stillen: Beikost mit 6 Monaten, Stillförderung nötig
Anlage zum EISL-Newsletter September 2022
Policy Statement – Breastfeeding and the Use of Human Milk
American Academy of Pediatrics (AAP), Joan Younger Meek, Lawrence Noble, Section on Breastfeeding. Pediatrics July 2022; 150 (1): e2022057988. DOI: https://doi.org/10.1542/peds.2022-057988
Das wichtigste in Kürze:
- Die American Academy of Pediatrics (AAP) hat ihr zuletzt 2012 aktualisiertes Policy Statement zum Thema Stillen überarbeitet und im Juli 2022 neu veröffentlicht. Die vielfältigen positiven Eigenschaften von Muttermilch und Stillen werden betont und durch eine große Zahl an Evidenzen belegt.
- Die AAP empfiehlt ausschließliches Stillen für ungefähr 6 Monate und anschließendes Weiterstillen unter Beikosteinführung bis ins Alter von 2 Jahren oder darüber hinaus, solange Mutter und Kind das wünschen. Damit schließt sich die AAP der international gültigen WHO-Empfehlung zum Stillen an.
- Sowohl für die ersten Tage und Wochen als auch für Mütter, die ihr Kind über den 1. Geburtstag hinaus noch stillen, wird mehr fachlich kompente Unterstützung benötigt. Die AAP ruft dazu auf, die von BFHI propagierten Maßnahmen (z.B. ununterbrochener Hautkontakt nach Geburt, Rooming-In, Stillen nach Bedarf, Vermeidung von Schnullern und Informationen zu Stillunterstützung Zuhause) in allen Geburtskliniken umzusetzen.
Die amerikanische Fachgesellschaft der Kinderärzte gilt trotz ihres eigentlich auf die USA beschränkten nationalen Charakters international als bedeutende Stimme, deren Statements Gewicht haben. In ihrem neu veröffentlichten Policy Statement zum Thema Stillen geht die AAP ausführlich auf Grundlagen und Empfehlungen ein, die das Stillen fördern.
Zunächst beschäftigt sich das Statement mit den USA-spezifischen Stillraten und stellt fest, dass es große Unterschiede zwischen den Stillraten weißer und/oder gebildeter Mütter und schwarzen und/oder ärmeren Müttern gibt. Hier besteht Handlungsbedarf und die AAP ruft dazu auf, spezifische Stillförderprogramme für diese benachteiligten Gruppen durchzuführen.
Im nächsten Abschnitt geht das Statement auf die gesundheitlichen Auswirkungen des Stillens auf Mutter und Kind ein, belegt durch eine Vielzahl an Evidenzen. Daran schließt sich direkt die Empfehlung zur Stilldauer an, die sich mit der international gültigen WHO-Empfehlung deckt:
Das Baby sollte ungefähr 6 Monate ausschließlich gestillt und anschließend unter Einführung von Beikost bis ins zweite Jahr und darüber hinaus weitergestillt werden, solange Mutter und Kind das möchten. Es wird spezifisch erwähnt, dass Mütter, die über den 1. Geburtstag hinaus stillen, häufig negative Erfahrungen in der Öffentlichkeit oder im Gespräch (auch) mit medizinischen Fachkräften machen, die ihre Entscheidung zum längeren Stillen in Frage stellen. Das AAP-Statement empfiehlt, alle Mutter-Kind-Paare zum Stillen zu ermutigen und in wertschätzender Art und Weise mit den Entscheidungen jeder Familie umzugehen.
Ausdrücklich Stellung nimmt das Statement nochmals zur Frage der Beikosteinführung. Anders als in den deutschsprachigen Ländern seit einiger Zeit üblich, empfiehlt die AAP klar weiterhin das ausschließliche Stillen für ungefähr 6 Monate (statt "4 - 6 Monate"). Das Statement begründet diese Entscheidung damit, dass es keinen nachgewiesenen Vorteil bringt, früher zu beginnen, dafür aber die Risiken für Überfütterung und Übergewicht steigen.
Der nächste Abschnitt des Statements geht kurz auf Kontraindikationen und mögliche medizinisch notwendige temporäre Einschränkungen des Stillens ein, ermutigt zum Weiterstillen bei üblichen Infekten und einigen spezifisch genannten Erkrankungen sowie insbesondere auch bei Mastitiden und bei einer eventuellen Abszess-Entwicklung. Außerdem werden Marijuana-, Alkohol- und Tabakkonsum diskutiert, sowie Quellen vorgestellt, bei denen man sich über Medikamenten-Einnahme während der Stillzeit fundiert informieren kann.
Im folgenden Absatz geht es um stillfördernde Maßnahmen in Geburtskliniken. Die AAP erwähnt etliche der von BFHI/ WHO und UNICEF empfohlenen "10 Schritte zum erfolgreichen Stillen" und empfiehlt, diese überall anzuwenden. Dazu gehören
• ununterbrochener Hautkontakt und erstes Stillen innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt
• Vermeidung von Zufütterung sofern nicht medizinisch indiziert
• Rooming-In
• häufiges Stillen
• Vermeidung von Schnullern
• Informationsmaterial über Stillunterstützung für Zuhause
Es wird ausdrücklich auf die Möglichkeit zur Kolostrumgewinnung eingegangen und den Umgang mit möglichen ersten Schwierigkeiten. Die Abschnitte zum Stillen von Babys mit sehr geringem Geburtsgewicht (VLBW) und Late preterm Kindern, sowie zur Vermeidung von Hyperbilirubinämie betonen die Bedeutung und die Chancen von Kolostrumgewinnung und -gabe für diese Fälle.
Zwei kurze Absätze zum Stillen in Adoptivfamilien und zum Stillen bei gender-diversen Eltern werden gefolgt von einigen Hinweisen zu den Supplementierungen für Säuglinge (Vitamin K direkt nach Geburt, VItamin D im ersten Lebensjahr). Interessant hier: erstmals gibt eine Fachgesellschaft eine klare Dosierungsempfehlung ab, wenn sich Familien dafür entscheiden, ihrem Baby kein Vitamin D zu geben, sondern durch eine höhere Supplementierung der stillenden Mutter die Vitamin-D-Zufuhr für das Kind sicherzustellen. Dies hatte sich schon länger als Option in Studien gezeigt (lesen Sie dazu unseren → Artikel von 2017), jedoch gab es noch keinen Konsens bezüglich der Dosierung.
Im letzten Abschnitt legt die AAP ihren Mitgliedern, den Kinderärztinnen und -ärzten, ans Herz, ihre Rolle für die Stillförderung aktiv wahrzunehmen und junge Familien fundiert zum Stillen aufzuklären. Kinderärzt:innen sind wichtige Ansprechpartner:innen und genießen das Vertrauen von Eltern, daher sollten sie nicht nur allgemein das Stillen empfehlen, sondern stillende Mütter auch aktiv dabei unterstützen, Stillprobleme zu überwinden und in ihrem Umfeld stillfördernde Maßnahmen etablieren.
Das gesamte Policy Statement (englisch ) können Sie → hier nachlesen, die Pressemitteilung dazu → hier.
© August 2022, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC