Europäisches Institut für Stillen und Laktation

ABM-Protokoll Nr. 19 aktualisiert: Stillförderung in der Schwangerschaft

Anlage zum EISL-Newsletter Oktober 2024

Academy of Breastfeeding Medicine Clinical Protocol #19: Breastfeeding Promotion in the Prenatal Period (Revised 2024)
Jack A, Mullin C, Brown E, Burtner M, Standish KR, Fields A, Rosen-Carole C, Hartman S. Breastfeed Med. 2024 Aug;19(8):575-587. https://doi.org/10.1089/bfm.2024.0203

Das wichtigste in Kürze:

  • Stillförderung ist eine wichtige Aufgabe von Fachkräften, die mit Müttern, Säuglingen und jungen Familien arbeiten. Aktives Informieren von Schwangeren führt zu besseren Stillraten und ermöglicht Müttern, ihr persönliches Still-Ziel besser zu erreichen
  • Das aktuell überarbeitete ABM-Protokoll Nr. 19 empfiehlt, jede Begegnung in der Schwangerschaft für ein kurzes Gespräch über das Stillen zu nutzen und so zu einer guten Stillvorbereitung beizutragen
  • Die Identifikation von Besonderheiten und Risikofaktoren ist sinnvoll, um bei Bedarf an weitere, gezielte Beratungsangebote zu vermitteln
  • Konkrete Informationen z.B. zur Bedeutung des intensiven Haut-zu-Haut-Kontakts, zu den Grundlagen der Milchbildung, zu den Risiken von frühem Zufüttern und zu korrektem Anlegen und Positionieren des Babys tragen entscheidend zu einem guten Stillbeginn bei

Die Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) verfolgt das Ziel, klinische Protokolle rund um Fragen der Stillförderung und zur Behandlung von Stillproblemen zu entwickeln. Diese Protokolle dienen als internationale Richtlinien für die Betreuung stillender Mütter und Säuglinge. Die ABM legt Wert darauf, dass Gesundheitsfachkräfte eine sichere, inklusive, patientenzentrierte und evidenzbasierte Versorgung für stillende Mütter und junge Familien anbieten.

Das aktuell überarbeitete klinische Protokoll Nr. 19 befasst sich mit der Förderung des Stillens während der pränatalen Phase. Dabei wird betont, dass eine frühzeitige Unterstützung des Stillens zu besseren Ergebnissen hinsichtlich des Stillbeginns ebenso wie der Stilldauer führen kann. Fachkräfte sollten daher bei jeder pränatalen Begegnung das Thema Stillen ansprechen.

Eine gute Grundlage schaffen
Evidenzen aus mehreren systematischen Übersichten zeigen, dass Frauen, die bereits in der Schwangerschaft Informationen über das Stillen erhalten, öfter mit dem Stillen beginnen, länger stillen und eher ausschließlich stillen, insbesondere wenn diese Informationen mit Unterstützung nach der Geburt kombiniert werden. Nicht umsonst empfehlen WHO und UNICEF in Schritt 3 der 10 Schritte zum erfolgreichen Stillen, dass Familien bereits pränatal zum Stillen informiert werden sollen.

Das Gespräch beginnen
Am Beginn steht die Anamnese, in der wichtige Informationen eingeholt werden und auf Basis derer entschieden werden kann, ob Besonderheiten vorliegen, die eine intensivere Beratung erfordern. Die wichtigsten Punkte der Anamnese:
• Frage nach der geplanten Ernährung des Kindes, zum Beispiel: „Was haben Sie sich zum Stillen überlegt?“
• Vorangegangene Stillerfahrungen bei Geschwisterkindern (Beginn des Stillens, Dauer des ausschließlichen Stillens, Gesamtdauer des Stillens, Unterstützung beim Stillen sowie wahrgenommene Vorteile und Herausforderungen)
• (Medizinische) Besonderheiten bei Mutter (z.B.: Diabetes, Adipositas, psychische Erkankungen, Drogenkonsum…)
• Medizinische Besonderheiten beim Kind (Zwillinge, Anomalien,…)
• Medikamente
• Vorangegangene Operationen an der Brust
Im Anschluss daran soll die Brust begutachtet und untersucht werden, um beispielsweise besondere Brust- oder Mamillenformen zu erkennen.
Werden hier Risikofaktoren identifiziert, ist zu überlegen, ob der Informationsbedarf durch das standardisierte Setting abgedeckt werden kann, oder ob es notwendig ist eine gezieltere Beratung durchzuführen.

Informationen auf den Punkt bringen
Um zeit- und ressourcenschonend beraten zu können ist es sinnvoll, sich in der Beratung auf die sogenannten „high-yield topics“ zu beziehen, also auf Inhalte, die besonders nachhaltig zu einem besseren Outcome führen. Die vorliegende Themenauswahl wird auch im Rahmen von BFHI von WHO/UNICEF empfohlen:
• Bedeutung des Saugens und der Ernährung mit Muttermilch
• Empfehlungen zur Stilldauer: ausschließliches Stillen in den ersten 6 Monaten, danach weiterstillen unter der Gabe von altersgemäßer Beikost bis zum 2. Lebensjahr und darüber hinaus, solange Mutter und Kind es wollen
• Risiken der Gabe von Muttermilchersatzprodukten und Fremdsaugern
• Grundlagen einer guten Stillposition und des Anlegens
• Erkennen von Stillzeichen/ Fütterungssignalen
• Bedeutung des sofortigen und dauerhaften Haut-zu-Haut-Kontakts
• Bedeutung der frühen Initiierung des Stillens
• Wichtigkeit von Rooming-in

Unterstützer:innen ins Boot holen
Es ist hilfreich zu erfragen, wer den größten Einfluss auf die Entscheidungen zur Säuglingsernährung hat. Die Miteinbeziehung von Vätern/Partner:innen oder Großmüttern in die pränatale Betreuung und die gezielte Stillaufklärung hat positive Auswirkungen auf den späteren Stillerfolg. Stillen findet jedoch auch in einem breiten sozio-kulturellen Kontext statt. Neben Partner:innen und Familien beeinflusst auch die Unterstützung auf gesellschaftlicher Ebe die Entscheidungen der Eltern zur Säuglingsernährung. Daher ist es wichtig, sich der spezifischen persönlichen, finanziellen und sozio-kulturellen Situation bewusst zu sein. Besonders in einkommensschwachen Familien spielt die Peer-to-Peer Beratung eine wichtige Rolle. Zudem kann die Einbeziehung von Community-Mitgliedern und Berater:innen mit ähnlichem Hintergrund wie die werdende Mutter sie in ihrer Entscheidung zum Stillen unterstützen. Je größer das Vertrauen in die beratende Person und je sensibler über Traditionen, die dem Stillen schaden, aufgeklärt wird, desto besser das Outcome.

Herausforderungen und Schwierigkeiten überwinden
Sprache dient als Schlüssel zum Verständnis von Informationen. Idealerweise werden Informationen in der bevorzugten Sprache der Eltern und in einfacher, verständlicher Form bereitgestellt. Dabei können schriftliche Materialien ebenso zum Einsatz kommen, wie Informationen über Videos, Apps oder SMS.

Zu guter Letzt gilt es auch die eigene Einstellung und das Wissen zum Stillen kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu überdenken bzw. zu erneuern, um eine unabhängige, evidenzbasierte pränatale Stillinformation weitergeben zu können.

Das vollständige ABM-Protokoll Nr. 19 finden Sie ebenso wie alle weiteren ABM-Protokolle im englischen Original (und einige auch in Übersetzungen in andere Sprachen) → hier.

© Oktober 2024, Natalie Groiss, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC und Gudrun von der Ohe, IBCLC

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