Europäisches Institut für Stillen und Laktation

"Aktives Wundmanagement" nach Frenotomie weiterhin in Diskussion

Anlage zum EISL-Newsletter Juli 2022

Post Frenotomy Massage for Ankyloglossia in Infants—Does It Improve Breastfeeding and Reduce Recurrence?
Bhandarkar, K.P., Dar, T., Karia, L. et al. Matern Child Health J (2022). DOI: https://doi.org/10.1007/s10995-022-03454-x

Das wichtigste in Kürze:

  • Wenn der Verdacht auf ein zu kurzes Zungenband besteht, ist vor und nach der Durchführung einer Frenotomie sachkundige Stillberatung notwendig. Wenn so sorgfältig verfahren wird, verbessert die Frenotomie die Stillsituation meist deutlich.
  • Ob im Anschluss an die Frenotomie ergänzend Übungen durchgeführt werden müssen ("aktives Wundmanagement"), um die volle neue Beweglichkeit der Zunge zu gewährleisten, ist umstritten.
  • Eine aktuelle Studie zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den Stillraten nach Frenotomie, egal ob den Eltern "aktives Wundmanagement" empfohlen worden war oder nicht.

Dass ein zu kurzes Zungenband zu Stillproblemen und verfrühtem Abstillen führen kann, ist in den letzten Jahren zunehmend ins Bewusstsein von Stillberater:innen und anderen medizinischen Fachkräften gerückt, die mit jungen Familien arbeiten. Mittlerweile gibt es auch im deutschsprachigen Raum verschiedene Fortbildungen zu diesem Thema und auch Ärzt:innen, die bei einer gesicherten Diagnose eine Frenotomie durchführen, sind mehr und mehr verfügbar.
Wichtig bleibt, dass eine Frenotomie nie ohne vorherige kompetente Stillberatung erfolgen sollte, da eine reine Sichtbeurteilung ohne Überprüfung der Funktion und des Stillmanagements die Gefahr einer Überdiagnostizierung (und unnötiger Frenotomie) birgt.

Uneinigkeit herrscht vor allem bei der Frage, wie die Eltern nach einer erfolgten Frenotomie mit der entstandenen Wunde im Mund des Kindes verfahren sollen. Sind gezielte Übungen notwendig, braucht es ein Dehnen der Zunge, soll womöglich sogar mit dem Finger regelmäßig die Wunde massiert werden? Diese Techniken, häufig unter dem Begriff "aktives Wundmanagement" zusammengefasst, werden von einigen Ärzt:innen mit Nachdruck empfohlen, von anderen eher abgelehnt.
Im Dezember 2021 haben wir ein → EISL-Statement zur Beurteilung und Behandlung eines zu kurzen Zungenbands veröffentlicht, in dem wir auch auf die fehlenden Evidenzen zu diesem Thema hinweisen.

Eine nun aktuell erschienene Studie scheint etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Das britische Forschungsteam analysierte die Daten von insgesamt 599 Säuglingen nach Frenotomie, wobei 282 davon empfohlen worden war, "aktives Wundmanagement" durchzuführen und 317 ohne solche Empfehlungen frenotomiert wurden.

In beiden Gruppen verbesserte sich im Anschluss an die Frenotomie das Stillen gleichermaßen. Sowohl für die Gruppe, die nach der Frenotomie Übungen durchführte als auch für die Gruppe, die nichts weiter unternahm, verbesserte sich die Stillsituation und nur in sehr seltenen Fällen verschlechterte sich die Situation nach anfänglicher Besserung wieder. Diese wenigen Fälle erhielten eine zweite Frenotomie. Auch hier bestand kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Die Studie hat einige Stärken:
• Alle Familien, bei denen der Verdacht auf ein zu kurzes Zungenband vorlag, erhielten zunächst umfassende Unterstützung zum Stillen durch ausgebildete Spezialist:innen.
• Alle Ärzt:innen, die die Frenotomie durchführten, waren darin geschult, die Schnittführung tief genug zu gestalten, so dass nicht nur der anteriore, sondern auch der posteriore Anteil des Zungenbands erfasst wurde ("Diamant-förmige Wunde")
• Die Familien wurden im Anschluss an die Frenotomie nicht nur bezüglich der Studienergebnisse befragt, sondern auch aktiv von Stillberater:innen kontaktiert, um mögliche Stillprobleme zu besprechen.

Die Studie hat allerdings auch einige Schwächen:
• Von den insgesamt 599 frenotomierten Säuglingen konnten nur 194 im Anschluss weiterhin kontaktiert werden, so dass über die Stillraten der anderen Proband:innen keine Kenntnis besteht.
• In der Gruppe, die zu "aktivem Wundmanagement" aufgefordert wurde, führten laut Angaben der Eltern nur 43% dieses auch durch, der Rest verzichtete darauf. Die Gruppen unterschieden sich also nicht so klar und vollständig wie man sich das für eine gute statistische Analyse wünschen würde.
• Die Frenotomien wurden von insgesamt 5 verschiedenen Ärzt:innen einer Kinderklinik durchgeführt. Davon empfahlen drei Ärzt:innen das "aktive Wundmanagement", zwei nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass die 5 Ärzt:innen neben den unterschiedlichen Empfehlungen zur Nachbehandlung auch unterschiedliche Schnittführungen oder Techniken zur Frenotomie verwendeten, was das Ergebnis verfälschen könnte. Wünschenswert wäre gewesen, wenn jeweils die Hälfte der Patient:innen von jeder Ärzt:in die eine Empfehlung und die andere Hälfte die andere Empfehlung erhalten hätte.

In Summe lässt sich feststellen, dass auch weiterhin keine klaren Belege dafür existieren, welche Form der Nachbehandlung erfolgreicher ist, um eine stabile Verbesserung der Stillsituation zu erreichen. Die aktuelle Studie scheint eher darauf hinzuweisen, dass "aktives Wundmangement" keinen Vorteil mit sich bringt.

Die Studie (englisch) ist leider nicht vollständig frei verfügbar, das Abstract finden Sie → hier.

© Juli 2022, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC

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