Frühe Initiierung des Stillens rettet Leben
Anlage zum Newsletter Mai 2016
Timing of initiation, patterns of breastfeeding, and infant survival: prospective analysis of pooled data from three randomised trials NEOVITA study group. The Lancet Global Health, Vol. 4/ Issue 4, e266 - e275. doi: 10.1016/S2214-109X(16)00040-1
Dass ausschließliches Stillen für das erste Lebenshalbjahr nicht nur massive gesundheitliche positive Auswirkungen auf Mutter und Kind hat, sondern auch (insbesondere in ärmeren Ländern) die Säuglingssterblichkeit deutlich reduziert, ist bereits hinreichend bekannt. Um das ausschließliche Stillen erfolgreich zu etablieren, gibt es eine Reihe von empfohlenen Maßnahmen, die z.B. in Form der „10 Schritte zum erfolgreichen Stillen“ von WHO/ UNICEF/ BFHI weltweit propagiert werden. Sie beinhalten unter Anderem, dass das Stillen innerhalb der ersten Stunde nach Geburt initiiert werden sollte – frühes Stillen trägt zur Etablierung des ausschließlichen Stillens bei.
Mehr und mehr wird jedoch klar, dass frühes Stillen sich nicht nur langfristig auf die Stillbeziehung auswirkt (und somit indirekt zu den positiven Auswirkungen des Stillens beiträgt), sondern einen eigenen direkten Einfluss auf die Gesundheit des Neugeborenen hat. Hierzu veröffentlichte beispielsweise „Save the children“ Anfang 2013 entsprechende Daten und Empfehlungen (wir → berichteten).
Eine nun veröffentlichte Studie, die sich aus den Daten von drei randomisierten Studien in Ghana, Indien und Tansania zusammensetzt und von der WHO koordiniert wurde, beschreibt sehr differenziert die Auswirkungen des frühen Stillens auf die Sterblichkeit innerhalb der ersten 6 Monate. Es zeigte sich, dass frühes Stillen „dosis-abhängig“ auf die Sterblichkeit wirkte: wer innerhalb der ersten Stunde nach Geburt gestillt wurde, hatte bessere Überlebenschancen als Kinder, die erst innerhalb der ersten 24 Stunden gestillt wurden, wohingegen Kinder, die erst 24 – 96 Stunden nach Geburt gestillt wurden, ein noch höheres Sterblichkeitsrisiko trugen.
Die Studie, die in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet erschienen ist, unterscheidet sauber zwischen ausschließlich gestillten, vorwiegend gestillten und teilgestillten Kindern. Aufgrund der großen Probandenzahl von knapp 100 000 Neugeborenen und des sehr gut geführten und wenig fehleranfälligen Studiendesigns gilt diese Studie als besonders aussagekräftig. Trotz der bereits seit Langem existierenden Empfehlung zur frühen Initiierung des Stillens wird ungefähr die Hälfte aller Neugeborenen weltweit noch immer vom Stillen innerhalb der ersten Stunden ferngehalten (teilweise aus kulturellen Überlieferungen heraus, teilweise aufgrund von ungünstigen medizinischen Routine-Maßnahmen und mangelhaft ausgebildetem Personal). Es ist zu hoffen, dass sich die Situation mit der neuen Studienlage zunehmend bessert.
Die Studie (englisch) ist vollständig unter „Open Access“ → hier nachzulesen. Ein begleitender und einordnender Kommentar (englisch) kann → hier abgerufen werden.
Anmerkungen des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation:
Wir empfehlen, passend zu den vorgestellten Ergebnissen der aktuellen Studie, Neugeborenen innerhalb der ersten Stunde postpartum die Gelegenheit zu geben, selbständig zur Brust zu finden. Diese Vorgehensweise wird von namhaften Experten weltweit unterstützt und ist auch wissenschaftlich gut untersucht (z.B. durch Ann-Marie Widström und Andere). Der sogenannte → „Breast-Crawl“ führt dazu, dass das Kind nach durchschnittlich ca. 55 Minuten selbständig die Brust erfasst und trinkt. Sollte es mit Erreichen der 1. Lebensstunde noch keine Anzeichen dafür geben, dass das Baby die Brust in Kürze erfassen wird, kann das Anlegen aktiv unterstützt werden oder die Mutter kann Kolostrum von Hand gewinnen und dies dem Baby per Löffel oder Spritze verabreichen. Sollte ein ungestörter „Breast-Crawl“ aus medizinischen Gründen nicht möglich sein, z.B. weil das Kind verlegt werden muss, soll die Mutter innerhalb der ersten Stunde zur Handgewinnung von Kolostrum angeleitet werden.
© Mai 2016, Anja Bier (IBCLC) für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation