Klinikroutinen in den ersten Postpartum-Stunden und ihre Wirkung auf das Stillen
Anlage zum Newsletter Februar 2019
Initiative to Improve Exclusive Breastfeeding by Delaying the Newborn Bath
DiCioccio, Heather Condo et al., Journal of Obstetric, Gynecologic & Neonatal Nursing 2019, DOI: https://doi.org/10.1016/j.jogn.2018.12.008
Dass die ersten Stunden postpartum eine besonders sensible Phase für Etablierung der Mutter-Kind-Bindung und des Stillens darstellen, ist seit Längerem gut erforscht. Insbesondere die erste Stunde direkt nach Geburt, in der das Neugeborene im unmittelbaren Haut-Kontakt mit der Mutter ungestört selbständig seinen Weg zur Brust finden kann ("Breast-crawl"), ist von großer Bedeutung (siehe hierzu auch diverse Artikel und Studien am Ende dieser Seite).
Diese wichtige erste Stunde ist jedoch nicht alleine entscheidend und unhinterfragte Klinikroutinen greifen auch in der weiteren Postpartum-Periode noch in wichtige natürliche Prozesse ein, wie eine aktuelle Studie belegt:
Die Forscher aus Ohio, USA, berichten, dass an ihrem Haus, das bereits babyfreundlich/BFHI-zertifiziert war, bisher alle Neugeborenen 2 Stunden nach Geburt erstmalig gewaschen wurden (mit Schwamm/Waschlappen, kein Baden). Diese Praxis wurde verändert und Neugeborene wurden nun frühestens 12 Stunden pp, bevorzugt noch später, erstmalig gewaschen. Für beide Zeitpunkte, vor und nach der Intervention, wurden die Still-Raten während des Klinikaufenthalts und bei Entlassung erhoben, zudem wurde zwischen vaginal und per Sectio geborenen Kindern unterschieden.
Seitdem die Neugeborenen frühestens nach 12 Stunden pp oder noch später gewaschen werden, stieg die Stillrate der Station um 7,5%. Der Effekt war bei vaginal entbundenen Mutter-Kind-Paaren noch deutlicher als bei Sectio-Paaren.
In früheren Studien konnte bereits nachgewiesen werden, dass Reste des Fruchtwassers, die sich auf den Händen des Neugeborenen befinden, ihm bei der Orientierung zur Brust hin helfen und somit eine Rolle bei den ersten Stillversuchen spielen. Es ist daher denkbar, dass das zu frühe Waschen des Kindes in diesen natürlichen Prozess eingreift und das Anlegen dadurch erschwert wird.
Die Studie ist vollständig nachzulesen (englisch) → hier.
Zur besonders wichtigen ersten Postpartum-Stunde lesen Sie beispielhaft unseren → Artikel aus 6/2016 , außerdem z.B. ganz aktuell eine → iranische Meta-Analyse zum Thema, die genau wie vorangegangene weltweite Reviews/Meta-Analysen und Studien (z.B. → hier, → hier oder → hier) noch einmal verdeutlicht, welche Bedeutung dem ununterbrochenen Hautkontakt zukommt. Sämtliche Routine-Maßnahmen und Erstuntersuchungen sollten, wenn medizinisch möglich, entweder auf einen späteren Zeitpunkt verlegt, oder durchgeführt werden, während das Neugeborene im direkten Hautkontakt auf dem Bauch der Mutter liegt.
© Februar 2019, Anja Bier (IBCLC) für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation