Mütterlicher emotionaler Zustand beeinflusst die Mutter-Kind Interaktion
Anlage zum Newsletter Januar 2020
Emotional valence modulates the topology of the parent-infant inter-brain network
Lorena Santamaria, Valdas Noreika, Stanimira Georgieva, Kaili Clackson, Sam Wass, Victoria Leong. NeuroImage, 2019; 116341. DOI: 10.1016/j.neuroimage.2019.116341
Bereits seit einigen Jahren ist unbestritten, dass Stillen und Bindung zwei Elemente sind, die sich gegenseitig beeinflussen. Immer wieder zeigen uns wissenschaftliche Untersuchungen, welche Auswirkungen begünstigende und nicht begünstigende Faktoren auf das Mutter-Kind-Paar und das Stillen haben.
2016 haben wir beispielsweise von einer → Untersuchung berichtet, die zeigen konnte, dass gute Stillberatung bei Stillschwierigkeiten das Risiko für eine postpartale Depression signifikant senken kann.
Schon länger ist außerdem bekannt, dass mütterliche postpartale Depressionen die Bindungs-Interaktion mit dem Neugeborenen erschweren und z.B. Faktoren wie fehlender Blickkontakt und wenig differenzierte Körpersprache hier eine Rolle spielen. Lesen Sie dazu z.B. auch den folgenden interessanten → deutschsprachigen Artikel „Postpartale Depression: Mögliche Auswirkungen auf die frühe Mutter-Kind-Interaktion und Ansätze zur psychotherapeutischen Behandlung“ von Dr. phil. Corinna Reck.
Auch eine im April 2019 erschienene → brasilianische Untersuchung „Mother-child interaction: implications of chronic maternal anxiety and depression“ beschäftigt sich mit dieser Thematik. In dieser Studie wurde gezeigt, dass mütterliche Angststörungen sich weniger negativ auf die Mutter-Kind-Interaktion auswirkten als mütterliche Depressionen.
Im November 2019 wurde nun eine weitere sehr interessante Studie zu diesem Thema veröffentlicht. Sie zeigt, dass die Gehirne von Mutter und Baby wie eine Art „Mega-Netzwerk“ zusammenarbeiten können.
15 Mutter Kind Paare wurden gleichzeitig mit einer EEG Messung überwacht, während die Mütter angewiesen wurden, ihrem Kind verschiedene unbekannte Spielzeuge entweder positiv oder negativ vorzustellen/ zu zeigen. Anschließend konnte das Kind sich kurze Zeit mit diesen Spielzeugen beschäftigen, außerdem gab es eine Phase, in der Mutter und Kind getrennt voneinander jeweils mit Spielzeugen experimentieren konnten.
In einem aufwendigen Rechnungsverfahren wurden unter Berücksichtigung der altersgemäßen Hirnwellenströme die gemeinsame Aktivität einzelner Hirnareale sowie die gegenseitige Beeinflussung von Mutter auf Kind und umgekehrt analysiert.
Frühere Untersuchungen (die allerdings nur mit Erwachsenen durchgeführt wurden) zeigten, dass die simultane Aktivität und die gegenseitige Beeinflussung umso stärker waren, je stärker und positiver die Versuchspersonen miteinander verbunden waren. Dies gilt auch für die Interaktion der Mutter-Kind-Paare: die Intensität der Hirnwellen-Zusammenarbeit war stärker, wenn Mütter positive Emotionen ausdrückten und ihre Sprache laut und deutlich war.
Die Forscher führen dies darauf zurück, dass sich durch häufige positive Interaktion mit viel Blickkontakt die Fähigkeit der beiden Gehirne erhöht, als gemeinsames System zu funktionieren. Je besser dieses System arbeitet, desto effizienter werden auf unbewusster Ebene Informationen zwischen Mutter und Kind ausgetauscht. Dies ermöglicht dem Kind, besonders leicht von seiner Mutter zu lernen.
Das Gehirn befindet sich in den ersten Lebensjahren einem besonderen Lernprozess, der stark von seiner Umwelt und den darin gemachten Erfahrungen bestimmt wird. Wie weiter oben bereits beschrieben, kann dies vor allem bei Müttern, die von postpartaler Depression betroffen sind, zu Schwierigkeiten führen. So gehen die Forscher davon aus, dass Babys von depressiven Müttern aufgrund der geschwächten neuronalen Verbindung zu ihrem Kind auch dazu neigen, weniger mit ihnen in Interaktion zu sein. Darüber hinaus erschweren die oft flache, leise Sprache, der seltene Blickkontakt und die fehlende positive Reaktion es den Kindern, mit ihrer Mutter in Verbindung zu treten und von ihr zu lernen.
Für die Praxis bedeutet dies, dass alle bindungsfördernden Maßnahmen, wie Stillen, intensiver Hautkontakt und häufiger Blickkontakt die neuronale Verbindung stärken und somit die Entwicklung des Gehirns positiv beeinflussen. Gleichzeitig beugen diese Maßnahmen der Entwicklung einer mütterlichen postpartalen Depression vor.
Die Studie (englisch) ist → hier kostenlos vollständig verfügbar. Da die komplexe neurowissenschaftliche Untersuchungsmethodik in der Studie sehr genau beschrieben wird, empfehlen wir Ihnen ergänzend dazu diesen → zusammenfassenden Artikel (englisch), der die Kernpunkte der Studie leichter verständlich macht.
Ergänzung im Februar 2020:
Eine weitere Studie hat sich mit dem Thema der miteinander verflochtenen Hirn-Aktivitäten von Erwachsenen und Kindern beschäftigt:
Die Studie der Universität Princeton zeigte, dass während zugewandter Interaktion mit Blick-Kontakt die Gehirn-Aktivität eines fremden Erwachsenen sich mit dem der Kinder synchronisierte, mit denen die Interaktion stattfand. Kinder im Alter von 9 - 15 Monaten wurden auf dem Schoß der Eltern von einem Mitarbeiter des Forschungs-Teams durch Spielen/ Singen/ Vorlesen angesprochen und für 5 Minuten beschäftigt. In diesem Setting verbanden sich die Hirn-Aktivitäten miteinander, während dies nicht der Fall war, wenn der Mitarbeiter stattdessen vom Kind abgewandt einer anderen Person etwas erzählte. Besonders stark wurden Regionen angesprochen, die mit Lernen und tieferem Verständnis von Vorgängen zu tun haben.
Auch hier zeigt sich also nochmals, was bereits in der o.g. Studie ersichtlich wurde: direkter Blick-Kontakt und zugewandte Kommunikation zwischen Erwachsenen und Babys sind wichtige Elemente für die frühkindliche Hirn-Entwicklung.
Zur Studie gibt es einen informativen Artikel (englisch) → hier, die Studie selbst ist nicht kostenfrei zugänglich, daher ist nur das → Abstract verfügbar.
© Januar 2020, Natalie Groiss (IBCLC) und Anja Bier (IBCLC) für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation