Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Muttermilch lässt Synapsen wachsen

Anlage zum EISL-Newsletter September 2023

The human milk component myo-inositol promotes neuronal connectivity
Paquette AF, Carbone BE, Vogel S, Israel E, Maria SD, Patil NP, Sah S, Chowdhury D, Kondratiuk I, Labhart B, Morrow AL, Phillips SC, Kuang C, Hondmann D, Pandey N, Biederer T., Proc Natl Acad Sci U S A. 2023 Jul 25;120(30):e2221413120. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2221413120

Das wichtigste in Kürze:

  • In den ersten Lebensmonaten entwickelt sich das menschliche Gehirn rasant. Ein US-Forschungsteam der University of California San Diego hat nun einen besonderen Mikronährstoff in Muttermilch identifiziert, der Synapsen – die Verbindungen zwischen Nervenzellen – besonders schnell wachsen lässt.
  • Die Studie zeigt, dass das sogenannte "Myo-Inositol" für die Hirnentwicklung des Säuglings von Nutzen ist.
  • Außerdem kann dieser carbocyclische Zucker die Synapsendichte in reifem Hirngewebe fördern.

Dass es einen Zusammenhang zwischen der Hirnentwicklung und der Ernährung mit Muttermilch gibt, zeigten schon verschiedene Studien (3 Beispiele: → Blesa M. et al., 2019 ; → Sullivan G. et al., 2022 ; → Zhang Y. et al., 2022)

Bekannt ist, dass die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem beim Embryo schon mit der 3. Schwangerschaftswoche beginnt. Bis zum Ende der 8. Schwangerschaftswoche sind Gehirn und Rückenmark fast vollständig angelegt. In den folgenden Wochen und Monaten wird im Gehirn eine riesige Menge von Nervenzellen (Neuronen) durch Zellteilung gebildet. Bei der Geburt sind etwa 100 Milliarden Neuronen vorhanden, doch die Entwicklung von Gehirn und Nervensystem ist noch lange nicht abgeschlossen.

Das Gewicht des Gehirns beim Neugeborenen beträgt nur etwa ein Viertel von dem eines Erwachsenen. Die Gewichts- und Größenzunahme des Gehirns in den folgenden Jahren beruht auf der enormen Zunahme der Verbindungen zwischen den Neuronen und darauf, dass der Durchmesser eines Teils der Nervenfasern zunimmt. Nervenzellen verbinden sich über Nervenzellfortsätze (Dentriten), Axone und Synapsen. Die Zunahme des Umfangs der Neuronen ist auf eine Ummantelung der Fasern zurückzuführen. Dadurch erhalten die Zellen die Fähigkeit, Nervensignale mit hoher Geschwindigkeit weiterzuleiten. Weil sich das menschliche Gehirn noch so stark weiterentwickelt, ergibt sich lebenslang eine hohe Plastizität – es kann sich den äußeren Bedingungen optimal anpassen.

Die Anzahl der Synapsen nimmt in den ersten drei Lebensjahren rasant zu, besonders in den ersten Wochen und Monaten. In dieser Zeit entsteht das hochkomplexe neuronale Netz, in dem jede Nervenzelle mit Tausenden anderer Neurone verbunden wird.

Das Forscher-Team der aktuellen Studie beschäftigte sich mit dem carbozyklischen Stoff Inositol, der auch von Erwachsenen über die Nahrung aufgenommen und von einigen Organen selbst gebildet wird. Inositol liegt in verschiedenen Varianten vor und ist im menschlichen Blut und auch im Gehirn nachweisbar. Neu entdeckt wurde nun, dass eine bestimmte Variante, das Myo-Inositol, in menschlicher Muttermilch hoher Konzentration vorhanden ist. Besonders deutlich ist dies in den ersten Wochen postpartum, wenn das neuronale Netz sich besonders rasant entwickelt. Im Lauf der Stillzeit nimmt die Konzentration ab.

Inositol wird auch – synthetisch hergestellt – Pre-Nahrung zugesetzt. Muttermilch ist jedoch eine biologisch komplexe Substanz, während die Formulanahrung durch Zugabe verschiedener Einzelstoffe den Versuch einer Kopie darstellt.

Interessanterweise konnten die Forscher der aktuellen Studie in Versuchen mit Mäusen und In-vitro-Kulturen zeigen, dass Myo-Inositol auch auf reifes Hirngewebe wirksam ist und neue neuronale Verbindungen wachsen lässt. Zur Wirkung bei Erwachsenen braucht es jedoch laut Studie noch weitere Untersuchungen.

Die Studie ist vollständig → hier nachlesbar.

© September 2023, Gudrun von der Ohe, IBCLC und Ärztin
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC

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