Nach wie vor irreführend: Gesundheits- und Nährwert-Angaben auf Packungen von Säuglingsnahrung
Anlage zum EISL-Newsletter Juli 2023
Health and nutrition claims for infant formula: international cross sectional survey
Ka Yan Cheung, K. Y. et al., BMJ 2023;380:e071075; DOI: https://doi.org/10.1136/bmj-2022-071075
Das wichtigste in Kürze:
- Säuglingsnahrungsfirmen stellen in der Werbung, aber auch direkt auf den Verpackungen ihrer Produkte, Behauptungen auf, die z.B. gesundheitliche Vorteile versprechen
- Bereits in früheren Studien wurde nachgewiesen, dass diese Versprechungen in den allermeisten Fällen wissenschaftlich nicht haltbar sind und auf Käufer:innen irreführend wirken
- Eine aktuelle internationale Studie bestätigte diese Problematik erneut. Es zeigt sich, dass nach wie vor in vielen Ländern verbindliche gesetzliche Regelungen fehlen
Muttermilch ist die optimale Ernährung für Säuglinge, Studien belegen die zahlreichen kurz- und langfristigen Gesundheitsrisiken für Kinder und Mütter, wenn Ersatzprodukte verwendet werden.
Auch wenn die Entscheidung zur Ernährung von Säuglingen von verschiedenen medizinischen, soziopolitischen und psychologischen Faktoren mit beeinflusst werden, ist die Vermarktung von Säuglingsnahrung nach wie vor ein wichtiger Faktor, der das Stillen gefährdet, wie zuletzt in der wichtigen → Artikel-Serie zu diesem Thema, die Anfang 2023 im Lancet erschienen ist, gezeigt wurde.
Die Säuglingsnahrungs-Industrie gibt jährlich Milliarden für die Werbung für Muttermilchersatzprodukte aus, und es werden vielfältige, oft emotionale Techniken eingesetzt, um Produkte zu bewerben.
Eine aktuelle internationale Studie, die im renommierten British Medical Journal veröffentlicht wurde, untersuchte im Zeitraum 2020 bis 2022 weltweit die öffentlichen oder für medizinisches Fachpersonal zugänglichen Firmen-Webseiten der Säuglingsnahrungsindustrie. Sie überprüften dabei die Informationen zu Produkten, die für gesunde Säuglinge von Geburt an vermarktet werden.
Zusammengefasst wurden die Daten aus 15 verschiedenen Ländern, inkl. Australien, Kanada, Russland, Indien, Großbritannien und den USA, sowie z.B. aus Europa Deutschland, Norwegen, Italien und Spanien.
Die Autor:innen kamen zu dem Ergebnis, dass auf den meisten Säuglingsnahrungs-Verpackungen mindestens eine und teilweise bis zu vier gesundheits- oder nährwertbezogene Behauptungen zu Formulanahrung zu finden sind (z.B. "unterstützt die Gehirnentwicklung" oder "stärkt ein gesundes Immunsystem").
Insgesamt wurden 31 unterschiedliche Behauptungen gezählt, die meisten davon ohne eine konkrete Angabe, wodurch diese gesundheitlichen Vorteile erreicht werden sollen. In einigen Fällen wird auf einen bestimmten Inhaltsstoff Bezug genommen (z.B. LCPUFAs, Präbiotika, Probiotika etc.).
Häufig wird behauptet, dass die Inhaltsstoffe eine ähnliche Wirkung haben wie Muttermilch. Dabei enthalten die meisten Angaben keine wissenschaftlichen Referenzen zur Untermauerung dieser Aussagen und die wenigen konkreten Studienergebnisse, die zitiert werden, entstammen zu 90% Studien, die keine hohen Qualitätsstandards erfüllen.
Auffällig auch: immer wieder werden mehrere verschiedene Inhaltsstoffe für denselben gesundheitlichen Effekt verantwortlich gemacht und umgekehrt werden für denselben Inhaltsstoff unterschiedliche Wirkungen angegeben.
Schlussfolgerungen der Autor:innen:
Trotz der Versuche, die Vermarktung von Säuglingsnahrung zu verändern, sind die Fortschritte bei der Regulierung von Werbeversprechen über Säuglingsnahrung gering. Die Bestrebungen werden vor allem von angesehenen Non-Profit-Organisationen unternommen, darunter der First Steps Nutrition Trust, das International Baby Foods Action Network (IBFAN), die WHO und Unicef.
Fortschritte gibt es bei der Umsetzung verbindlicher Anforderungen an die Zusammensetzung und klaren Informationen über die Inhaltsstoffe – so auch in Europa, wo die Herstellung und Vermarktung der Säuglingsanfangsnahrungen streng geregelt sind. Gleichzeitig fehlt es immer noch an Transparenz und Regulierung bezüglich gesundheitsbezogener Behauptungen zu diesen Produkten.
Die Ergebnisse unterstützen die Forderung nach einem überarbeiteten Rechtsrahmen für Muttermilchersatzprodukte von staatlicher Seite, um die Verbraucher:innen besser zu schützen und Schäden zu vermeiden, die mit der aggressiven Vermarktung solcher Produkte verbunden sind.
Die Studie ist vollständig (open access) → hier erhältlich.
© Juli 2023, Gudrun von der Ohe, IBCLC und Ärztin
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC