Neue AWMF-Leitlinie: Umgang mit Frauenmilch in Einrichtungen des Gesundheitswesens
Anlage zum EISL-Newsletter Juli 2024
AWMF-Leitlinie 024-026: S2k-Leitlinie "Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens"
Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) und weitere Fachgesellschaften, Koordination: Dr. med. Monika Berns. 03/2024. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-026
Epidemiologisches Bulletin 25/2024: Prävention nosokomialer Infektionen bei der Milchnahrungszubereitung für Früh- und Neugeborene in Kliniken
Robert-Koch-Institut (RKI), 20. Juni 2024. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2024/Ausgaben/25_24.html
Das wichtigste in Kürze:
- Alle Neugeborenen sollen grundsätzlich mit Muttermilch der eigenen Mutter versorgt werden. Ist dies nicht vollständig möglich, sollte gespendete Frauenmilch zum Einsatz kommen.
- Um die Versorgung mit Frauenmilch sicherzustellen, werden mehr und mehr Frauenmilchbanken eingerichtet. Für die Einrichtung und den Betrieb einer solchen Frauenmilchbank gibt es nun auch im deutschsprachigen Raum einheitliche evidenzbasierte Empfehlungen in Form einer AWMF-Leitlinie.
- Muttermilch der eigenen Mutter sollte keinen routinemäßigen bakteriologischen Untersuchungen unterzogen und auch nicht routinemäßig pasteurisiert werden.
- Für Frühgeborene ist Muttermilch/ Frauenmilch besonders wertvoll. Bei Vorliegen einer maternalen CMV-Infektion kann es für sehr kleine/sehr junge Frühgeborene sinnvoll sein, die Milch zu pasteurisieren. Ein direktes Anlegen an die Brust ist jedoch immer ohne Einschränkungen empfohlen.
- Die Leitlinie diskutiert auch Themen wie die präpartale Kolostrumgewinnung und sollte daher in jeder geburtshilflichen Abteilung besprochen werden.
S2k-Leitlinie: Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens
AWMF-Leitlinien sind im deutschsprachigen Raum wichtige Wegweiser im medizinischen Bereich. Die dort veröffentlichten Leitlinien sollten allen, die im Gesundheitswesen arbeiten, als Grundlage für ihre Entscheidungen dienen und werden von anerkannten Fachgesellschaften und Expert:innen nach wissenschaftlichen Kriterien erarbeitet.
Unter Federführung der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrischer Intensivmedizin (GNPI) entstand nun eine neue S2k-Leitlinie zum Thema "Einsatz und Behandlung von humaner Milch in Einrichtungen des Gesundheitswesens", die im März 2024 veröffentlicht wurde. Für neonatologische Abteilungen, Frauenmilchbanken und alle Berufsgruppen, die in diesem Feld tätig sind, ist die Leitlinie relevant und sollte weite Verbreitung finden.
Die erste und damit wichtigste Empfehlung lautet, dass Neugeborene grundsätzlich mit Muttermilch, also Milch der eigenen Mutter ernährt werden sollen. Wenn diese nicht ausreichend zur Verfügung steht, ist gespendete Frauenmilch aus einer Frauenmilchbank sinnvoll. Mit dieser Empfehlung schließt sich die deutschsprachige Leitlinie den internationalen Empfehlungen z.B. von WHO, AAP und ESPGHAN an. Frühgeborene profitieren besonders von Muttermilch und sollten unbedingt Frauenmilch erhalten, wenn Muttermilch nicht ausreichend zur Verfügung steht – die Leitlinie erwähnt in diesem Zusammenhang explizit das erhöhte NEK-Risiko bei Formulaernährung sowie einige weitere Parameter, die mit einer Frauenmilchernährung bessere Ergebnisse bei Frühgeborenen erzielen.
Im Kapitel "Handhabung humaner Milch" geht die Leitlinie auf Qualitätssicherungsmaßnahmen bei Einrichtung und Betreiben einer Frauenmilchbank ein. Räumliche Anforderungen, personelle Voraussetzungen und apparative Ausstattung werden beschrieben. Im folgenden Abschnitt wird auf Hygienemaßnahmen vor und während der Milchgewinnung, dann auf den Transport und die Kühlkette eingegangen. Für die Lagerung der gespendeten Milch gelten im klinischen Bereich bzw. in der Frauenmilchbank andere Anforderungen als für den häuslichen Bereich.
Für das Poolen von Milch verschiedener Spenderinnen gibt es ebenso Empfehlungen wie für die Zubereitung bei einer eventuell notwendigen Supplementierung. Zuletzt werden in diesem Kapitel Pasteurisierungsverfahren und das Einfrieren von Muttermilch diskutiert, außerdem der Sonderfall "Verwechslung von humaner Milch".
Im nächsten Kapitel geht es explizit um die Muttermilch der eigenen Mutter. Die Leitlinie spricht sich gegen die weit verbreitete Praxis des routinemäßigen bakteriologischen Screenings von Muttermilch aus, da es keine wissenschaftlich begründeten Grenzwerte gibt und einerseits regelmäßig somit trotzdem eher stark Keimbelastete Milch verfüttert wird, andererseits wird immer wieder unnötigerweise wertvolle Muttermilch aus übertriebener Vorsicht verworfen. Auch ein Pasteurisieren von Muttermilch für das eigene Kind wird nicht empfohlen.
Eine wichtige Empfehlung lautet, dass eine Entscheidung, Muttermilch für ein Kind als kontraindiziert zu betrachten, nur von einem interdisziplinären Team im Konsens gefällt werden sollte, nicht durch eine einzelne Fachkraft. Auch wenn die Mutter beispielsweise Medikamente einnehmen muss oder eine mütterliche Erkrankung vorliegt, ist in den allermeisten Fällen die Gabe von Muttermilch (bzw. das Stillen des eigenen Kindes) möglich.
In Bezug auf die CMV-Infektionsgefahr besteht derzeit noch kein internationaler Konsens. Die Leitlinie verweist auf die Empfehlungen in Frankreich, Österreich und den USA, empfiehlt jedoch ausdrücklich, dass Anlegen an der Brust unabhängig vom CMV-Status jederzeit uneingeschränkt erfolgen kann. Mögliche Maßnahmen (Pasteurisierung etc.) beziehen sich immer auf abgepumpte und gelagerte Muttermilch.
Die Leitlinie geht im weiteren Verlauf noch auf das Abstillen ohne medizinische Indikation (Wunsch der Mutter), Muttermilchgebrauch bei Drogengebrauch der Mutter und die Möglichkeit zur präpartalen Kolostrumgewinnung ein.
Das letzte Kapitel beschätigt sich explizit mit Bedingungen zum Spenden von Frauenmilch (Aufklärung und Einverständnis, Auswahl der Spenderinnen, infektologisches Screening etc.). Es werden bakteriologische Grenzwerte für pasteurisierte und nicht pasteurisierte Frauenmilch diskutiert (international gibt es eine große Bandbreite an Empfehlungen).
Insgesamt stellt die Leitlinie damit ein gutes Handwerkszeug für alle Einrichtungen dar, die entweder eine Frauenmilchbank gründen wollen oder bereits betreiben, oder die im klinischen Kontext zumindest zeitweise mit abgepumpter Muttermilch umgehen (somit praktisch alle Wochenstationen!). Auch die präpartale Kolostrumgewinnung findet Raum und kann damit in Zukunft noch besser untermauert etabliert werden.
Die Leitlinie kann vollständig beim AWMF-Leitlinienregister heruntergeladen werden:
→ https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/024-02
RKI-Bulletin: Prävention nosokomialer Infektionen bei der Milchnahrungszubereitung für Früh- und Neugeborene in Kliniken
Überall wo Neu- und Frühgeborene betreut werden, die nicht oder nicht ausschließlich an der Brust der eigenen Mutter gestillt werden, entstehen potentielle Infektionsgefahren für die Säuglinge, die mit abgepumpter Muttermilch, gespendeter Frauenmilch oder künstlicher Säuglingsnahrung ernährt werden. Es besteht die Gefahr von verunreinigtem Milchpulver oder Wasser, Abpump- oder Aufbewahrungsgefäße können kontaminiert sein und es können Fehler bei der Zubereitung gemacht werden.
Das RKI hat im Rahmen einer Untersuchung der Universität Göttingen qualitative Interviews zu den Abläufen in Milchküchen in Niedersachsen geführt, um geeignete Maßnahmen zur Verringerung des Kontaminationsrisikos zu identifizieren. Es zeigte sich, dass es wesentlich einfacher ist, in zentralen Milchküchen hohe Hygienestandards umzusetzen, als in dafür vorgesehenen Teilbereichen der Stationsküchen. Klare Vorgaben zu Hand- und Oberflächenhygiene sowie zur Etikettierung und maximalen Lagerungszeit wurden von den Interviewten als wünschenswert angesehen.
Das Epidemiologische Bulletin kann komplett → hier nachgelesen werden.
© Juli 2024, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC