Neue AWMF-Leitlinie zu Sectio caesarea: Bonding bei Sectio als Standard
Anlage zum Newsletter Juni 2020
Die Sectio caesarea
AWMF-S3-Leitlinie 015 - 084, Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) mit OEGGG und SGGG, Juni 2020. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-084.html
Empfehlungen aus der Leitlinie zur Still- und Bindungsförderung:
- Früher Hautkontakt bereits im OP
- Intensive Unterstützung des Mutter-Kind-Paares
- Direktes Anlegen auch nach Sectio fördern
- Manuelle Kolostrumgewinnung als Alternative
Die Rate an per Sectio entbundenen Kindern steigt seit Jahren weltweit deutlich an. Auch im deutschsprachigen Raum ist die Entwicklung ähnlich, obwohl davon ausgegangen wird, dass ein Teil dieser Entbindungen nicht zwingend medizinisch erforderlich wäre. Da auch Sectio-Entbindungen Risiken für Mutter und Kind mit sich bringen, sind klare Richtlinien wünschenswert, die eine evidenzbasierte Entscheidungshilfe geben, ob eine Sectio im konkreten Fall notwendig ist und wie die begleitenden Bedingungen für eine optimale Betreuung für diesen Fall aussehen.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) hat gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften nun eine entsprechende S3-Leitlinie entwickelt. Erfreulich ist, dass diese im länderübergreifenden Konsens mit österreichischen und schweizerischen Fachgesellschaften entstand, wodurch ein einheitliches Vorgehen im deutschsprachigen Raum ermöglicht wird.
Neben den medizinischen Aspekten zur Ausgangslage und möglichem Outcome für Mutter und Kind sind auch die Rahmenbedingungen, unter denen die Sectio durchgeführt wird, sowie die Gestaltung der ersten postpartalen Stunden Bestandteil der Leitlinie. Hier sind aus unserer Sicht besonders zu erwähnen:
• Erste Wahl zur Anästhesie ist ein Regionalverfahren, bei dem die Mutter wach und ansprechbar bleibt (S. 90ff Langfassung)
• Kinder, die per Sectio geboren werden, haben ein erhöhtes Risiko für eine niedrigere Temperatur, was durch früh eingesetzten direkten Hautkontakt verringert werden kann (S. 104/105 Langfassung)
• Früher Haut-zu-Hautkontakt fördert die Bindung und erleichtert den Stillbeginn, das Bonding mit direktem Hautkontakt sollte bereits im OP beginnen (S. 105f Langfassung)
• Der Stillbeginn ist nach Sectio oft erschwert, weshalb für diese Mutter-Kind-Paare intensivere Unterstützung wichtig ist (S. 106f Langfassung)
• Falls ein direktes Anlegen nicht rasch möglich ist, ist eine manuelle Kolostrumgewinnung durchzuführen. Direktes Anlegen ist möglich, sobald die Mutter wach und ausreichend orientiert ist. (S. 106f Langfassung)
Wir begrüßen es sehr, dass das "Sectio-Bonding" Eingang in die Leitlinie gefunden hat. Auch wenn eine Reihe an Kliniken dies schon seit Jahren mit Erfolg durchführen, gibt es doch noch etliche Einrichtungen, die ein Sectio-Bonding nicht ermöglichen, obwohl entsprechende Evidenzen vorliegen, die dieses Vorgehen empfehlen.
Aufgrund der Leitlinie ist nun damit zu rechnen, dass in naher Zukunft alle Geburtskliniken entsprechende Standards etablieren, die dies zur normalen Praxis werden lassen – für vaginal wie per Sectio geborene Kinder gleichermaßen.
Wenn Sie mehr zum Thema "Bedeutung von Bonding und Hautkontakt" lesen möchten, empfehlen wir Ihnen unsere Fachseite → Bonding und Self-Attachment sowie den Artikel → Die Bedeutung des direkten Hautkontakts für ALLE Neugeborenen (12/2019)
Für die Umsetzung konkreter Maßnahmen und eine optimale Still- und Bindungsförderung empfiehlt sich das zuletzt Ende 2018 aktualisierte → ABM-Protokoll Nr. 7: Best-Practice-Modell für peri- und postnatale Betreuung
Die AWMF-Leitlinie liegt in einer Kurz-(nur die Empfehlungen aufgelistet) und einer Langfassung (mit Erläuterungen/ Begründung) vor. Sie finden beide Versionen → hier.
© Juni 2020, Anja Bier, IBCLC für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation