Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Neues ABM-Protokoll Nr. 34: Brustkrebs in der Stillzeit

Anlage zum Newsletter Juli 2020

ABM Clinical Protocol #34: Breast Cancer and Breastfeeding
Helen M. Johnson, Katrina B. Mitchell and the Academy of Breastfeeding Medicine. Breastfeeding Medicine. Jul 2020.429-434. DOI: http://doi.org/10.1089/bfm.2020.29157.hmj


Brustkrebs ist weltweit die häufigste maligne Erkrankung bei Frauen. 1 von 20 Frauen ist im Laufe ihres Lebens davon betroffen. Nach wie vor weist diese Erkrankung die höchste Sterblichkeitsrate von allen Krebserkrankungen auf und führt zu den längsten krankheitsbedingten Ausfällen im Berufsalltag.

Ein Auftreten von Brustkrebs in der Stillzeit erfordert besondere Unterstützung und Information für die betroffene Mutter. Therapien und Medikamente können zu einer Verringerung der Milchmenge führen oder das Stillen gar ganz unmöglich machen. Daher ist es besonders wichtig, Frauen in dieser sensiblen Phase korrekt zu beraten.

Die Academy of Breastfeeding Medicine (ABM) hat kürzlich ein neues Protokoll zum Umgang mit Brustkrebs in der Stillzeit veröffentlicht. Die Protokolle der ABM gelten weltweit als richtungsweisend für den evidenzbasierten Umgang mit stillenden Frauen und dienen häufig als Grundlage für Leitlinien oder Standards.
Wir haben im Folgenden die wichtigsten Punkte des Protokolls für Sie auf deutsch zusammengefasst:

VORSORGEUNTERSUCHUNGEN AUF BRUSTKREBS BEI STILLENDEN FRAUEN

Die Empfehlungen hierzu sind in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Das amerikanische College of Radiology empfiehlt, die Fortsetzung der routinemäßigen Vorsorgeuntersuchungen von der voraussichtlichen Stilldauer und dem persönlichen Brustkrebsrisiko abhängig zu machen. Besteht ein erhöhtes Risiko (z.B. Vorhandensein einer BRCA-Mutation), so sollte das Screening nicht aufgeschoben werden.
Grundsätzlich können alle Methoden des Vorsorge-Screenings (Mammographie, Ultraschall, MRT, Biopsie) gefahrlos auch in der Stillzeit durchgeführt werden und benötigen daher keinen Aufschub. Die besten Ergebnisse liefern Ultraschall und die moderne 3D Mammographie.

Da die laktierende Brust jedoch einige Unterschiede zur nicht laktierenden Brust aufweist, kann die Diagnosestellung erschwert oder im schlimmsten Fall falsch positiv sein. Deshalb ist es sinnvoll, nach Möglichkeit die Brust unmittelbar vor der Untersuchung so weit wie möglich zu entleeren.
Plant die Mutter in der nächsten Zeit abzustillen, kann überlegt werden, mit den Untersuchungen 6 bis 8 Wochen nach dem Abstillen zu warten.

STILLMANAGEMENT BEI FRAUEN NACH EINER BRUSTKREBSBEHANDLUNG

Frauen nach einer Brustkrebsbehandlung haben ein größeres Risiko, weniger Milch zu produzieren und profitieren daher besonders davon, wenn die erste Beratung noch in der Schwangerschaft stattfindet. Dabei sollte in der genauen Anamnese vergangene und aktuelle medikamentöse Behandlungen (Operation, Bestrahlung, Chemotherapie, endokrine Therapie) erfragt und dokumentiert werden. Besonders wichtig ist es für Frauen zu erfahren, dass Stillen nach einer Brustkrebserkrankung das Risiko einer weiteren Erkrankung keinesfalls erhöht, sondern im Gegenteil sogar senkt.

Darüber hinaus ist es hilfreich gemeinsam mit der Mutter Stillziele zu erörtern und sie darauf vorzubereiten, dass je nach Behandlung mit einer verringerten (Chemotherapie, Teilmastektomie) oder ausbleibenden Milchproduktion (totale Mastektomie) zu rechnen ist.
Der Einsatz von Galaktogoga ist sorgfältig zu abzuwägen, da Phytoöstrogene (wie zum Beispiel in Bockshornkleesamen-Extrakt enthalten) die Tumorentstehung fördern oder die Wirksamkeit der endokrinen Therapie verringern können. Auch der Einsatz von Domperidon ist nicht ratsam, da es Verbindungen zwischen einem erhöhtem Prolaktinspiegel und erhöhtem Brustkrebsrisiko gibt.

Im Falle einer totalen Mastektomie ist es hilfreich, von Anfang an einseitiges Stillen zu planen, da auf der betroffenen Seite selbst bei Erhalt von Mamille und Areola keine Milchproduktion zu erwarten ist. In seltenen Fällen kann sich Restgewebe während der Schwangerschaft und Stillzeit vergrößern und die Fähigkeit zur Milchbildung vortäuschen. In diesem Fall und auch im Falle von Milchsekretion, sollte die Frau in jedem Fall Kontakt zu ihrem Onkologen aufnehmen, da es sich möglicherweise um tumoröses Restgewebe handeln könnte.

Wurde bei der Frau brusterhaltend (teilweise Mastektomie) operiert, so muss mit einer reduzierten Milchmenge gerechnet werden. Durch die Operation wird nicht nur milchbildendes Drüsengewebe entfernt, sondern auch Nerven geschädigt, die für die Funktion eines regelrechten Milchspendereflex benötigt werden.

Gleichfalls kann es bei der Chemotherapie zu irreversiblen histopathologischen Veränderungen (zum Beispiel Fibrose) kommen, die eine reduzierte Milchmenge zur Folge haben. Strahlentherapie kann zu einer schlechteren Elastizität der Mamille und Areola führen und in Folge das Stillen erschweren. Es wurde auch von Fällen berichtet, in denen die Kinder aufgrund des veränderten Geschmacks der Milch auf der bestrahlten Seite diese Seite verweigerten.

Auch bei brusterhaltenden Therapievarianten kann also das einseitige Stillen mit der nicht betroffenen Brust eine gute Möglichkeit für die Mutter sein. Obwohl eine Brust problemlos dazu in der Lage ist, genügend Milch für ein gesundes Wachstum zu produzieren, sollte dennoch besonderes Augenmerk auf die adäquate Gewichtszunahme des Säuglings gelegt werden.

Bei Frauen, die Hormontherapie erhalten haben und stillen wollen, muss das Risiko individuell abgewogen werden. Grundsätzlich gelten Aromatase-Inhibitoren als Kontraindikation zu einer Schwangerschaft und zur Stillzeit.
Bei Tamoxifen hingegen wird derzeit in einer Studie untersucht, ob die Unterbrechung bei Schwangerschaft für die Stillzeit auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt werden kann. Richtlinien im europäischen Raum unterstützen diese Vorgehensweise.

STILLMANAGEMENT BEI SCHWANGEREN FRAUEN MIT EINER BRUSTKREBSDIAGNOSE

In der Regel werden diese Frauen von einem multidisziplinären Team bestehend aus Onkologen, Chirurgen, Radiologen und Gynäkologen, sowie Neonatologen betreut.

Die Therapien des schwangerschaftsassoziiertern Brustkrebs (PABC) haben Auswirkungen auf das ungeborene Kind, die zukünftige Fruchtbarkeit der Frau und das Stillen. Obwohl das Überleben der Frau und des Fötus die höchste Priorität hat, so kommt dem Stillen trotzdem eine große Bedeutung zu. In vielen Fällen leiden Frauen darunter, dass sie ihre persönlichen Stillziele nicht erreichen können und brauchen psychologische Unterstützung.

Onkologische Brustchirurgie
Die Behandlung des Mammakarzinoms ist abhängig vom Trimester, in dem die Erkrankung diagnostiziert wird. Während im ersten Trimester meist eine totale Mastektomie durchgeführt wird, so kommen im zweiten und dritten Trimester auch brusterhaltende Operationsvarianten zum Einsatz. Die Bestrahlung wird nach Möglichkeit (bei Diagnosestellung im zweiten und dritten Trimester) auf die Zeit nach der Geburt verschoben.

Um ein einseitiges Stillen zu ermöglichen, sollte auf die prophylaktische kontralaterale Mastektomie verzichtet werden. Für Frauen ist es wichtig zu wissen, dass die Entfernung der nicht betroffenen Brust zu keiner Verbesserung der Lebenserwartung führt, das einseitige Stillen jedoch das Risiko für ein Neuauftreten der Erkrankung reduzieren kann.

Wird die Mastektomie erst nach der Geburt geplant, so erfordert dies kein Abstillen. Auch das Stillen an der betroffenen Brust ist bis zur Operation möglich.

In den meisten Fällen wird bei der Operation auch der Wächterlymphknoten aufgespürt und für weitere Untersuchungen entfernt. Dazu wir in der Regel ein blauer Farbstoff oder sogenannter Radiotracer injiziert. Die Gesellschaft für Nuklearmedizin und molekularer Bildgebung und die European Association of Nuclear Medicine schlagen in diesem Fall eine 24 stündige Stillpause vor. Um die Milchproduktion aufrecht zu erhalten, sollte die Mutter in dieser Zeit die Milch abpumpen und verwerfen.

Chemotherapie
Benötigt die Frau Chemotherapie bereits in der Schwangerschaft, so wird diese erst im zweiten und dritten Trimester verabreicht. Ab etwa 3 bis 4 Wochen vor der Geburt wird die Therapie pausiert. Je früher und desto mehr Zyklen die Frau erhält, desto eher ist mit negativen Auswirkungen auf die Milchproduktion zu rechnen.

Grundsätzlich ist das Stillen während der Gabe von Zytostatika kontraindiziert, die Pause vor der Geburt ermöglicht jedoch ein Stillen, bis die Therapie postpartum wieder fortgesetzt wird. Auch wenn die Frau eine Milchproduktion während der Chemotherapie im Prinzip weiter aufrechterhalten könnte, so darf in diesem Fall nicht weiter gestillt werden. Ein langsames und behutsames Abstillen ist hier die beste Variante.

STILLMANAGEMENT BEI BRUSTKREBS NACH DER GEBURT

Brustkrebs, der bis zu 5 Jahre nach der Geburt diagnostiziert wird, ist in den meisten Fällen aggressiver. Auch in diesem Fall sollte die Frau von einem interdisziplinären Team betreut und Stillwunsch und -möglichkeiten besprochen werden.

Während einer Biopsie kann problemlos weitergestillt werden. Nach der Biopsie erfolgt in der Regel eine weitere Untersuchung mittels CT oder MRT. Erfolgt hier die Gabe des Kontrastmittels Gadolinium, so kann weiter gestillt werden. Handelt es sich um radioaktive Substanzen, erfordert dies eine kurze Trennung (4 bis 12 Stunden) von Mutter und Kind. Die Milch kann in dieser Zeit jedoch abgepumpt und verfüttert werden.

Chemotherapie, Endokrine und Anti-HER2 Therapien
Meistens werden diese Therapien miteinander kombiniert. Aber auch bei Monotherapie mit monoklonalen Antikörpern (Anti-HER2 Therapie) als auch bei Hormontherapien kann basierend auf der derzeitigen Datenlage keine Empfehlung zum Stillen gegeben werden. Chemotherapie gilt in jedem Fall als Kontraindikation zum Stillen.

Beim Abstillen können Dompaminagonisten wie Cabergolin verwendet werden, ein konservatives Abstillen ist jedoch nach Möglichkeit vorzuziehen.
Eine psychosoziale Unterstützung, die neben der Bewältigung der Krebsdiagnose auch auf die emotionalen Auswirkungen unerwünschten Abstillens eingeht, ist wünschenswert.


Das ABM-Protokoll ist vollständig (englisch) und frei verfügbar → hier nachzulesen.

© Juli 2020, Natalie Groiss, IBCLC für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation

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