Stillen fördern
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An ESPGHAN Position Paper on the Diagnosis, Management, and Prevention of Cow’s Milk Allergiy, 2024
Yvan Vandenplas, Ilse Broekaert, Magnus Domellöf, Flavia Indrio, Alexandre Lapillonne, Corina Pienar, Carmen Ribes-Koninckx, Raanan Shamir, Hania Szajewska, Nikhil Thapar, Rut Anne Thomassen, Elvira Verduci, Christina West
https://doi.org/10.1097/MPG.0000000000003897
Die Europäische Gesellschaft für pädiatrische Gastroenterologie, Hepatologie und Ernährung (ESPGHAN) hatte zuletzt 2012 eine Leitlinie zum Thema Kuhmilchallergie veröffentlicht. In ihrem aktuellen Positionspapier von 2024 werden nun neue Erkenntnisse diskutiert und Empfehlungen formuliert, außerdem werden die Auswirkungen einer Kuhmilchallergie auf die Ernährung, das Wachstum des Kindes und die Lebensqualität besprochen.
Eine Kuhmilchallergie (CMA) kann als eine Überempfindlichkeitsreaktion auf Kuhmilch definiert werden, wenn sie auf immunologischen Mechanismen beruht, die in drei Kategorien unterteilt werden können: IgE-vermittelt, nicht-IgE-vermittelt oder in einer gemischten Variante.
Klinisch zeigt sich die Allergie überwiegend kutan (70% - 75% Ekzeme wie z.B.: atopische Dermatitis) und seltener gastrointestinal (13% - 34% wie z.B.: Erbrechen, Durchfall, blutiger Stuhl) oder respiratorisch (1% - 8% wie z.B.: Schnupfen, chronischer Husten).
Bei einer IgE-vermittelten Allergie sind die Symptome in der Regel schwerer und treten innerhalb von Minuten nach der Nahrungsaufnahme auf. Das Spektrum reicht dabei von akuten Hautausschlägen bis hin zum anaphylaktischem Schock.
Bei einer nicht IgE-vermittelten Allergie treten die Symptome verzögert auf und entwickeln sich in der Regel nach mehr als zwei Stunden, meist zwischen 6 und 72 Stunden. Vor allem das Spektrum der nicht IgE-vermittelten Kuhmilchallergie ist breit gefächert und umfasst Symptome, die in ihrer Schwere von leichten rektalen Blutungen bei milcheiweißinduzierter Proktokolitis bis hin zu schwerem Erbrechen und einem sepsisähnlichen Krankheitsbild reichen, das beim nahrungseiweißinduzierten Enterokolitis-Syndrom (FPIES) beobachtet werden kann. Die Mehrheit der Säuglinge, die mit Verdacht auf Kuhmilchallergie vorgestellt werden, weisen jedoch nur eine leichte bis mittelschwere Allergie auf.
Kuhmilchallergie bei Säuglingen und Kleinkindern zu diagnostizieren, stellt nach wie vor eine große Herausforderung dar, da viele der auftretenden Symptome wie Koliken oder häufiges Weinen auch bei gesunden Säuglingen vorkommen oder anderen Erkrankungen ähnlich sind. Laut ESPGHAN-Recherche ist die Studienlage hierzu sehr inkonsistent und unzureichend, weshalb bei einer solchen Symptomatik keine Empfehlung zu einer kuhmilchfreien Ernährung der stillenden Mutter gegeben werden kann. Zusätzlich besteht die Gefahr des vorzeitigen Abstillens, weshalb es hier einen differenzierten und sensiblen Umgang durch Fachkräfte braucht.
Es gibt sowohl Über- als auch Unterdiagnosen, wobei Überdiagnosen deutlich häufiger vorkommen, insbesondere bei nicht-IgE-vermittelten Allergien. Fehldiagnosen bergen eine Reihe von Risiken wie zum Beispiel Wachstumsverzögerungen, Mikronährstoffmängel, eine verminderte Lebensqualität sowie eine höhere finanzielle Belastung durch teure Spezialnahrung.
Wegen der Auswirkungen auf die langfristige Gesundheit sollte die Diagnose „Kuhmilchallergie“ nur auf der Grundlage einer vollständigen Anamnese, körperlichen Untersuchung und mit Hilfe eines Provokations-Tests nach voriger diagnostischer Eliminationsdiät gestellt werden. Es ist wichtig, dass das ausschließliche Stillen bis zum Alter von sechs Monaten und das Weiterstillen unter Einführung von geeigneter Beikost gefördert, geschützt und unterstützt werden
Wichtig zu wissen: obwohl die Kuhmilchallergie mit einer Prävalenz von unter 1% angenommen wird und damit weit weniger häufig vorkommt als Eier- (9 %) oder Erdnussallergie (3 %), stieg in vielen Ländern (zum Beispiel in England, Norwegen und Australien) die Verschreibung von Spezialnahrung, die häufig einen erhöhten Zuckergehalt aufweist, zu Beginn des 21. Jahrhunderts sprunghaft an. Hinzu kommt, dass sich in den meisten Fällen mit steigendem Alter die Symptome ohne Therapie auflösen und damit nur in seltenen Fällen eine Behandlung erforderlich wird.
Diagnose und Therapie der Kuhmilchallergie
Obwohl eine Kuhmilchallergie bei gestillten Kindern extrem selten ist, wird vielen Müttern vorschnell dazu geraten, Diät zu halten und sich für den Zeitraum von zwei bis vier Wochen kuhmilchfrei zu ernähren. Dabei zeigen Studien, dass einerseits die Menge der allergenen Eiweiße in der Muttermilch kaum ausreicht, um eine allergische Reaktion zu provozieren, andererseits ist erwiesen, dass sich die Symptome häufig auch ohne mütterliche Diät von selbst zurückbilden.
Der Ausschluss von Kuhmilch aus der Ernährung von Müttern oder Säuglingen zur Behandlung häufig auftretender Symptome bei Säuglingen wird durch klinische Studien nicht durchgängig unterstützt und sollte daher nur in begründeten Einzelfällen erfolgen. Nach einer temporären diagnostischen Phase der Diät erfolgt eine erneute Einführung der Kuhmilch (Provokationstest) – nur wenn unter der Diät tatsächlich eine deutliche Verbesserung der Symptome auftrat UND bei Wiedereinführung die Symptome wieder zunehmen, ist eine langfristige Elimination von Kuhmilch aus der Ernährung der stillenden Mutter angezeigt. ESPGHAN empfiehlt in diesem Fall ebenso einen Ausschluss von Ziegen- und Schafmilch, sowie eine Supplementierung der Mutter von 1g Kalzium und 600IE Vitamin D pro Tag. Eine diätologische Beratung wird als sinnvoll erachtet.
Bei Formula ernährten Säuglingen sind extensiv hydrolysierte Säuglingsnahrungen die erste Wahl für eine diagnostische Eleminationsdiät. Nur bei sehr schweren Fällen mit einer ausgeprägten Symptomatik sollten aminosäurebasierte Formulanahrungen über einen Zeitraum von zwei bis vier Wochen zum Einsatz kommen.
Bei Kindern im Beikostalter ist sowohl bei einer Eleminationsdiät besondere Vorsicht hinsichtlich der Nährstoffversorgung geboten und diese sollte daher nach Möglichkeit unter diätologischer Beratung erfolgen. Häufig leiden diese Kinder in folge des Nährstoffdefizits unter einer unzureichenden Gewichtsentwicklung und sollten daher zusätzlich in engmaschigen Abständen überwacht werden.
Schlussfolgerungen
Eine Kuhmilchallergie kann für die betroffenen Familien eine große Belastung darstellen. Dies zeigt sich nicht nur, indem der Weg bis zu einer gesicherten Diagnosestellung oft lang ist, sondern auch in der finanziellen Belastung, in sozialen Schwierigkeiten und einer gefährdeten Entwicklung des Kindes.
Einige Studien haben gezeigt, dass die Gabe von kuhmilchbasierter Formula in vor allem den ersten Lebenstagen das Risiko für die Entwicklung einer Kuhmilchallergie erhöht. So zeigte sich beispielsweise in der prospektiven Kohortenstudie von Saarinen et al., dass Neugeborene, die in den ersten 24 Lebensstunden kuhmilchbasierte Formula erhielten, ein um mehr als 7-fach erhöhtes Risiko hatten, an einer Kuhmilchallergie zu erkranken, im Vergleich zu ausschließlich gestillten Säuglingen. Auch die aktuelle AWMF-Leitlinie zur Allergieprävention warnt deshalb vor einer frühen kurzfristigen Exposition mit kuhmilchbasierter Formulanahrung (siehe hierzu auch unsere beiden Artikel zu diesem Thema: → S3-Leitlinie zur Allergieprävention aktualisiert (07/2022) und → EISL-Stellungnahme: S3-Leitlinie Allergieprävention im Diskurs (09/2023)
Anmerkung des EISL:
Immer wieder weisen wir darauf hin: Um eine frühe Zufütterung von Formulanahrung zu vermeiden, ist es unabdingbar, die Gewinnung und Verabreichung von Kolostrum und Muttermilch stets als Mittel der ersten Wahl anzusehen. Steht keine Milch der eigenen Mutter zur Verfügung, so ist gespendete Frauenmilch die zweite Option. Erst als letzte Möglichkeit sollten extensiv hydrolysierte Formulanahrungen oder aminosäurebasierte Nahrungen in Betracht gezogen werden.
Um dies in der Praxis zu erreichen, ist gut geschultes Personal nötig, das stillende Mütter im Bedarfsfall z.B. bei der Handgewinnung von Kolostrum unterstützt und eine Zufütterung von Formulanahrung nur in medizinisch begründeten Fällen empfiehlt. Lesen Sie dazu mehr in unserem Statement:
→ EISL-Stellungnahme zur Zufütterung von Energiesupplementen in der Klinik (aktualisiert 10/2022)
© Februar 2025, Natalie Groiss, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC
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