Pre- und Probiotika und ihr möglicher Einsatz bei Brustproblemen
Anlage zum EISL-Newsletter November 2024
Das wichtigste in Kürze:
- Muttermilch enthält Pre- und Probiotika, die zur Entwicklung eines gesunden Mikrobioms beim gestillten Säugling ebenso beitragen wie zur Brustgesundheit der Mutter
- Seit einiger Zeit wird auch der gezielte Einsatz von industriell hergestellten pre- und probiotischen Produkten rund um Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit diskutiert
- Besonders im Bereich der Behandlung von Milchstaus, Mastitiden und anderen Brustproblemen scheint der Einsatz von Probiotika vielversprechend
Das Mikrobiom gehört zu den Forschungsgebieten, in denen in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gewonnen wurden und das weiterhin intensiv untersucht wird.
Beim Menschen sind viele Oberflächen innerhalb des Körpers (z.B. unsere Darmschleimhaut, die Nasenhöhle und auch das Brustdrüsengewebe), genau wie unsere Außenhaut, mit einer großen Zahl von Mikro-Organismen (Mikrobiota) besiedelt, mit denen wir in permanenter Gemeinschaft leben. Die genaue Zusammensetzung unseres Mikrobioms ist unter anderem abhängig von unserer Ernährung, unserem Lebensstil, chronischen Erkrankungen, genetischen Faktoren usw.
Nachdem die Bedeutung eines gesunden und vielfältigen Mikrobioms immer mehr in unser Bewusstsein rückt, ist es logisch, dass die Wissenschaft auch nach Wegen sucht, es gezielt positiv zu beeinflussen.
- Prebiotika/Präbiotika (meist Kohlenhydrate wie z.B. Oligosaccharide der Muttermilch) fördern die natürliche Ansiedelung von wünschenswerten Mikro-Organismen.
- Probiotika sind selbst Mikro-Organismen, die unsere Oberflächen besiedeln und sich positiv auf unsere Gesundheit auswirken.
Im Themenfeld Schwangerschaft, Geburt und Stillen gibt es bereits eine Reihe von Erkenntnissen zum Mikrobiom:
- Muttermilch enthält eine Vielzahl von Prebiotika (meist Oligosaccharide wie z.B. der Bifidusfaktor) und Probiotika (z.B. verschiedene Lactobacillen und Bifidobakterien) und trägt so zur Entwicklung eines gesunden Mikrobioms beim gestillten Säugling bei (siehe z.B. → McGuire et al., 2017 ; → Ruiz et al., 2019 ; → Selvamani et al., 2023 )
- Das Mikrobiom in der Muttermilch verändert sich durch Einflussfaktoren wie z.B. BMI, Alter und Ernährung der stillenden Mutter, Geschlecht und Geburtsgewichts des Säuglings. Lesen Sie dazu unseren Artikel von 2019: → Zusammensetzung des Microbioms in Muttermilch
- Stillen beeinflusst auch das Mikrobiom des Brustdrüsengewebes der Mutter (siehe z.B. → Sakwinska et al., 2019 ; → Fernández et al., 2020 )
- Die Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft hat Einfluss auf das kindliche Mikrobiom (siehe z.B. → Barrientos et al., 2023 ), ebenso wie der Geburtsmodus (siehe z.B. → Bokulich et al., 2016 ; → Ferretti et al., 2018 )
Einige Evidenzen zeigen bereits, dass der gezielte Einsatz von pre- und/oder probiotischen Produkten sich auch im Themenfeld Schwangerschaft, Geburt und Stillen als nützlich erweist.
Gleichzeitig sind die Erkenntnisse (noch) nicht ausreichend gesichert, um allgemeine Empfehlungen abgeben zu können. Deshalb ist eine gewisse Vorsicht angebracht.
Zusätzlich bestehen auch Interessenskonflikte, da die Hersteller der entsprechenden Produkte ein Interesse an positiven Studienergebnissen haben. Zudem ist zu bedenken, dass ein gezielter Einsatz eines Präparats für einen individuellen Fall sinnvoll sein kann, jedoch nach heutigem Wissensstand keine allgemeine Präventionsmaßnahme daraus abgeleitet werden kann (wie z.B. „allen Schwangeren wird empfohlen, Präparat X einzunehmen“). Lesen Sie hierzu beispielhaft unseren Artikel → Beeinflussung der Brustgesundheit durch Probiotika?, in dem wir 2021 eine Studie kritisch untersucht haben, die sich mit einer über Monate andauernden Einnahme von Probiotika als Präventionsmaßnahme vor Mastitiden beschäftigt hat.
Einige interessante Studien rund um den Einsatz von pre-/probiotischen Produkten möchten wir Ihnen kurz vorstellen:
Are Probiotics and Prebiotics Safe for Use during Pregnancy and Lactation? A Systematic Review and Meta-Analysis
Vor der Frage nach einem möglichen Nutzen der Gabe von Pre- und Probiotika steht zunächst die Frage nach der Sicherheit. Können diese Produkte in Schwangerschaft und Stillzeit sicher eingenommen werden? Gibt es Risiken?
Die Meta-Analyse von Sheyholislami und Connor (2021) kommt zum Schluss, dass die Verwendung sicher ist und mögliche Nebenwirkungen eher in Form von Befindlichkeitsstörungen auftreten, aber kein gesundheitliches Risiko darstellen. Die Studie ist vollständig im open-access-Verfahren → hier nachzulesen.
Effects of Probiotic Supplementation during Pregnancy on the Future Maternal Risk of Metabolic Syndrome
Dieser Review-Artikel von Obuchowska et al. (2022) beschäftigt sich mit Risiken, die eine Schwangerschaft für die künftige metabolische Gesundheit der Mutter mit sich bringt (z.B. das Risiko für Diabetes mellitus Typ II oder kardiovaskuläre Erkrankungen). Die körperlichen und hormonellen Veränderungen bringen auch eine Veränderung des Mikrobioms im Darm der Schwangeren mit sich und die Einnahme von Probiotika könnte sich positiv auf die beschriebenen Erkrankungen auswirken. Die Autor:innen kommen in ihrem Review zu gemischten Ergebnissen – einige Studien zeigen Hinweise auf einen positiven Effekt, andere können dies bisher nicht nachweisen.
Das Review ist im open-access-Verfahren → hier veröffentlicht.
The Impact of Probiotics, Prebiotics, and Synbiotics during Pregnancy or Lactation on the Intestinal Microbiota of Children Born by Cesarean Section: A Systematic Review
Dass Säuglinge nach einer vaginalen Geburt ein anderes Mikrobiom aufweisen als nach einer Sectio, ist bereits bekannt. Der Review-Artikel von Martín-Peláez et al. (2022) untersuchte verschiedene Studien daraufhin, ob eine mütterliche Einnahme von Pre-, Pro- oder Synbiotika während der Schwangerschaft und/oder Stillzeit hier einen Einfluss hat. Auch die Verabreichung dieser Produkte direkt an das Neugeborene wurde mit untersucht.
Die Autor:innen kommen zu dem Ergebnis, dass die meisten Interventionen mit Pre-, Pro- oder Synbiotika erfolgreich das kindliche Mikrobiom von Sectio-geborenen Säuglingen dem der vaginal geborenen Kinder annähert. Der Effekt war größer, wenn das Produkt mehrere Bakterienstränge oder eine Kombination aus Pro- und Prebiotika enthielt. Besonders deutlich war der Effekt, wenn die Kinder auch gestillt wurden.
Das Review ist → hier im open-access-Verfahren frei zugänglich.
Für die Stillzeit gibt es eine Reihe von Hinweisen, die einen positiven Effekt von Probiotika auf die mütterliche Brustgesundheit zeigen. Dies hat sich auch in der aktuellen Literatur und ersten internationalen Leitlinien niedergeschlagen: so empfehlen Walker (Breastfeeding Management for the Clinician, 2023) und LEEARC/ Spencer (Core Curriculum for Interdisciplinary Lactation Care, 2024) den Einsatz von Probiotika für die Behandlung von Milchstaus und Mastitiden. Auch das 2022 aktualisierte ABM-Protokoll #36 (→ The Mastitis Spectrum) erwähnt den möglichen Einsatz von Probiotika, weist aber auf die noch limitierte Evidenzlage dazu hin.
EISL-EMPFEHLUNGEN
Nach unserer Auffassung, beruhend auf dem derzeitigen Wissensstand, können Probiotika unterstützend und sinnvoll eingesetzt werden z.B. bei rezidivierenden Milchstaus und/oder Anzeichen für eine subakute Mastitis (lesen Sie dazu vertiefend auf unserer Fachseite
→ Milchstau – Mastitis – Mamma-Abszess in der Stillzeit).
Wenn probiotische Produkte bei Brustproblemen eingesetzt werden, sollten sie idealerweise die beiden Bakterienstämme Lactobacillus fermentum und Lactobacillus salivarius enthalten. Beide Stämme zeigten in Studien eine positive Wirkung auf die Brustgesundheit.
Zusätzlich könnte als dritter Bestandteil einer probiotischen Mischung Lactococcus lactis hilfreich sein. Lactococcus lactis kommt auch in Muttermilch vor (→ Beasley et al., 2004 ) und produziert Nisin, das in der Nahrungsmittelindustrie und der Milchwirtschaft schon seit langer Zeit verwendet wird. Es hemmt als Bakteriocin das Wachstum von arzneimittelresistenten Bakterienstämmen und hat eine antimikrobielle Wirkung gegen gram-positive Krankheitserreger.
Es gibt einige Hersteller/Produkte auf dem deutschsprachigen Markt, die diese Kriterien erfüllen. Es lohnt sich daher, die Inhaltsstoffe probiotischer Mischungen genau zu recherchieren.
Mögliche Einsatzbereiche (therapeutisch):
• Akute Mastitis
• Subakute Mastitis
• Rezidivierende Mastitiden
• Wiederkehrende Milchstaus
• Schlecht heilende Mamillen
• Allgemein bei Brustproblemen
Ein Einsatz zur Behandlung von bestehenden Problemen ist wahrscheinlich sinnvoll, als allgemeine Präventionsmaßnahme im „Gießkannenprinzip“ jedoch nicht zu empfehlen.
© November 2024, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC