Schwangerschaft verändert Hirnstruktur bei werdenden Eltern
Anlage zum EISL-Newsletter November 2024
Neuroanatomical changes observed over the course of a human pregnancy
Pritschet, L., Taylor, C.M., Cossio, D. et al. Nat Neurosci 27, 2253–2260 (2024). https://doi.org/10.1038/s41593-024-01741-0
Cortical volume reductions in men transitioning to first-time fatherhood reflect both parenting engagement and mental health risk
Saxbe D, Martínez-García M. Cereb Cortex. 2024 Apr 1;34(4):bhae126. https://doi.org/10.1093/cercor/bhae126
Das wichtigste in Kürze:
- Die Schwangerschaft ist eine Periode bedeutender hormoneller und physiologischer Anpassungen des mütterlichen Körpers. Die Umstellung der Hormonproduktion löst tiefgreifende Veränderungen im ganzen Körper aus, und wie jetzt bekannt ist, auch im Gehirn.
- Die Dicke des Kortex (graue Hirnsubstanz) reduziert sich, im Gegenzug kommt es zu einer Zunahme der Mikrostrukturierung innerhalb der weißen Hirnsubstanz. Dies betrifft fast alle Regionen im Gehirn.
- Es handelt sich nach Ansicht der Forscher nicht um eine negative Auswirkung, sondern dient wahrscheinlich dazu, die Verhaltensanpassungen zu erleichtern, die durch das Leben mit einem Säugling notwendig sind.
- Ähnliche Veränderungen geschehen auch bei werdenden Vätern während der ersten Elternzeit, insbesondere wenn sich die Väter bereits in der Schwangerschaft intensiv mit dem ungeborenen Kind beschäftigten und auch postpartum eine innige Bindung mit ihrem Kind entwickelten.
Zwei aktuelle Studien aus dem Jahr 2024 haben sich mit der Veränderung des Gehirns von werdenen Eltern beschäftigt. Sowohl schwangere Frauen als auch werdende Väter durchlaufen offenbar in Vorbereitung auf die Zeit mit ihrem Säugling eine Strukturveränderung des Gehirns, die dazu führt, dass die graue Substanz (Kortex) an Dicke verliert, hingegen die Verknüpfungen in der weißen Substanz zunehmen.
Die Forscher beschreiben, dass ähnliche große Umbauten auch in der Zeit der Adoleszenz/Pubertät im Gehirn passieren, die mit Gewinnen in der exekutiven Funktion und sozialer Kognition verbunden sind. Unser Gehirn ist also anpassungsfähig und bereitet im Fall der Schwangerschaft vermutlich Verhaltensanpassungen vor, die auf ein fürsorgliches Bindungsverhalten abzielen. Die Veränderungen in der weißen Substanz scheinen z.B. die Kommunikation zwischen emotionalen und visuellen Zentren zu verbessern und die fürsorgliche Reaktion auf audio-visuelle Signale des Säuglings zu verfeinern.
Dass diese Veränderungen nicht nur bei schwangeren Frauen geschehen, sondern auch bei werdenden Vätern – insbesondere wenn sie sich intensiv um eine präpartale Bindung zu dem Ungeborenen bemühen – spricht dafür, dass ein System, in dem mehrere Bezugs- und Bindungspersonen für ein Baby relevant sind und sein Überleben sichern, in der menschlichen Natur liegt.
Interessant: einige Zeit nach der Geburt scheint ein Teil der Veränderungen wieder zurückgebaut zu werden, während andere Strukturveränderungen dauerhaft sind.
Die Forscher weisen darauf hin, dass allerdings die strukturellen Veränderungen an einigen Stellen auch auf ein erhöhtes Risiko für postpartale Depressionen und andere psychische Erkrankungen (bei Müttern UND Vätern) hindeuten – hier gibt es noch weiteren Forschungsbedarf.
Die Studie zu den Veränderungen bei Schwangeren ist vollständig (englisch) → hier im open access Verfahren veröffentlicht.
Zur Studie zu den Vätern steht nur das Abstract (englisch) → hier frei zur Verfügung.
© November 2024, Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC