Spätes Abnabeln von Frühgeborenen senkt die Mortalität
Anlage zum EISL-Newsletter April 2024
Deferred cord clamping, cord milking, and immediate cord clamping at preterm birth: a systematic review and individual participant data meta-analysis
Seidler AL, Aberoumand M, Hunter KE, Barba A, Libesman S, Williams JG, Shrestha N, Aagerup J, Sotiropoulos JX, Montgomery AA, Gyte GML, Duley L, Askie LM; iCOMP Collaborators. Lancet. 2023 Dec 9;402(10418):2209-2222. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(23)02468-6
Das wichtigste in Kürze:
- Es ist schon länger bekannt, dass ein spätes Abnabeln für reifgeborene Neugeborene Vorteile bringt
- Frühgeborene werden häufig sehr schnell abgenabelt, weil das geburtshilfliche Team das Kind rasch an die Neonatologie übergeben möchte
- Eine aktuelle Studie in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet zeigt, dass ein spätes Abnabeln die Mortalität von Frühgeborenen um ein Drittel senkt und daher dringend als Praxisstandard etabliert werden sollte
- Das Abnabeln sollte frühestens 2 Minuten nach Geburt erfolgen, empfehlen die Forscher:innen
Ungefähr 13,4 Millionen Babys wurden im Jahr 2020 vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche geboren. Frühgeburtskomplikationen sind die Haupttodesursache bei Kindern unter 5 Jahren (→ WHO 2023)
Geht es dem Frühgeborenen schlecht, möchte das geburtshilftliche Team das Kind meist so rasch wie möglich an die Neonatologie übergeben – was bisher ein sofortiges Abnabeln und schnellstmögliche Übernahme in die Reanimationseinheit bedeutet. Ob dies immer das beste Vorgehen bei Frühgeborenen ist, war Gegenstand einer aktuellen Meta-Analyse, die im Dezember 2023 in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet erschienen ist.
Bereits bekannt ist, dass ein Abklemmen der Nabelschnur erst nach Auspulsieren die → Sauerstoffsättigung von reifen Neugeborenen verbessert und → das Risiko für eine Anämie im Alter von 8 - 12 Monaten senkt.
Auch für Frühgeborene gibt es bereits einige Erkenntnisse: 2018 kam eine → Meta-Analyse zu dem Schluss, dass späteres Abnabeln die Mortalität von Frühgeborenen senkt und ein → Review aus 2019 zeigte, dass es den Blutkreislauf (Hämatokrit, Blutvolumen, Rote Blutkörperchen) verbessert.
Die aktuelle Studie im Lancet kommt zu dem Ergebnis, dass ein späteres Abnabeln nach mindestens 120 Sekunden mit hoher Wahrscheinlichkeit die beste Strategie zur Verhinderung von Todesfällen bei Frühgeborenen ist.
Unter australischer und britischer Federführung wurden 2.369 Datensätze berücksichtigt, die aus 48 randomisierten Studien und den individuellen Teilnehmerdaten von 6.367 Neugeborenen ausgewertet wurden. Es wurden verschiedene Zeitpunkte des verzögerten Abnabelns, des Nabelschnurausstreichens und die sofortige Abnabelung bei Frühgeborenen miteinander verglichen. Alle Daten wurden nach vorgegebenen Kriterien geprüft und das Ergebnis war über mehrere Untergruppen auf Teilnehmer- und Studienebene hinweg konsistent.
Weder Gestationsalter, die Art der Entbindung noch Mehrlingsgeburten hatten Einfluss auf die Ergebnisse.
Das spätere Abnabeln war dabei am erfolgreichsten: dadurch verringerte sich die Zahl der Todesfälle bis zur Entlassung im Vergleich zu den Frühabnabelungen um ein Drittel. Ein Ausstreichen der Nabelschnur erbrachte sowohl bei den sofort als auch bei den später abgenabelten Kindern keinen eindeutigen Unterschied bezüglich der Rate an Todesfällen.
Vorläufige qualitative Untersuchungen haben zudem ergeben, dass ein abwartendes Vorgehen für die Mütter ein wesentlicher Beitrag zu einem positiveren Geburtserlebnis sein könnte.
Strategien zum Abnabeln von Frühgeborenen gibt es viele – ebenso uneinheitlich sind die weltweiten Leitlinien.
Die Forscher:innen der aktuellen Studie kommen nun zum Schluss: Mindestens 2 Minuten sollte das geburtshilfliche Team abwarten und damit dem Frühgeborenen einen möglichst sanften und medizinisch optimalen Start ins Leben ermöglichen. Nachteilige Effekte des späteren Abnabelns konnten nicht beobachtet werden. Die Autor:innen folgern, dass diese Praxis in die internationalen Leitlinien einfließen sollte.
Das Abstract der Studie kann → hier nachgelesen werden.
© April 2024, Gudrun von der Ohe, Ärztin und IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC