Die Bedeutung des Stillens im Bereich Umweltschutz und Klimawandel
Anlage zum EISL-Newsletter Februar 2024
Environmental Impact of Feeding with Infant Formula in Comparison with Breastfeeding
Andresen EC, Hjelkrem AR, Bakken AK, Andersen LF. Int J Environ Res Public Health. 2022 May 24;19(11):6397. https://doi.org/10.3390/ijerph19116397
Innovative financing for a gender-equitable first-food system to mitigate greenhouse gas impacts of commercial milk formula: investing in breastfeeding as a carbon offset
Smith JP, Borg B, Iellamo A, Nguyen TT and Mathisen R. Front. Sustain. Food Syst., 2023 7:1155279. https://doi.org/10.3389/fsufs.2023.1155279
Green Feeding – Climate Action Tool
Press Release Alive & Thrive: Boosting breastfeeding to mitigate climate change: A new tool illustrates the massive carbon and water footprints of commercial milk formula
Aug. 01, 2023. https://www.aliveandthrive.org/en/news/boosting-breastfeeding-to-mitigate-climate-change-a-new-tool-illustrates-the-massive-carbon-and
Breastfeeding and Environmental Consciousness: A Narrative Review of Environmental Implications and Potential Contributions to Reduce Waste and Energy Consumption
Mohapatra I, Samantaray SR. Cureus. 2023 Sep 24;15(9):e45878. https://doi.org/10.7759/cureus.45878
Das wichtigste in Kürze:
- Stillen leistet einen aktiven Beitrag zum Umweltschutz und trägt zu einer weltweiten Sicherstellung von gesunder und nachhaltiger Ernährung bei
- Die Produktion, der Vertrieb und die Verwendung von künstlicher Säuglingsnahrung erhöht deutlich den Ausstoß von Treibhausgasen
- Weitere betroffene Faktoren: Müllproduktion, Energie-, Wasser- und Land-/Flächenverbrauch, Bodenerosion und -versauerung, Produktion von Plastik, Einsatz von Chemikalien uvm.
- Stillförderung wird oft nur durch die Brille der individuellen Gesundheitsförderung betrachtet, sollte aber insbesondere auf politischer und gesellschaftlicher Ebene klar als Faktor für den Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit erkannt werden
Dass Stillen nicht nur Auswirkungen auf Mütter, Kinder und Familien hat, sondern auch gesamt-gesellschaftlich von Bedeutung ist, ist bereits seit längerem bekannt (bedeutsam z.B. die Kosten für das Gesundheitswesen).
Dass Stillen sich im globalen Kontext auch auf den Klimwandel auswirkt und einen aktiven Faktor für den Umweltschutz darstellt, gerät mehr und mehr in den Fokus der aktuellen Forschung und Berichterstattung.
Bereits im Februar 2023 berichteten wir unter dem Titel → "Stillen und Klimawandel: Stillförderung leistet einen wichtigen Beitrag" über mehrere interessante Artikel und Initiativen zu diesem Thema.
Seither sind etliche neue Artikel und ein Tool veröffentlicht worden, die wir Ihnen gerne vorstellen möchten.
Zunächst beschreiben wir eine norwegische Studie von Andresen et al., die bereits im Frühjahr 2022 veröffentlicht wurde und jetzt frei zugänglich ist.
Die norwegischen Forscher:innen untersuchten die unterschiedlichen Auswirkungen auf die Umwelt, wenn 4 Monate lang ausschließlich gestillt würde im Vergleich zu einer ausschließlichen Gabe von künstlicher Säuglingsnahrung für 4 Monate. Es wurde dabei nicht nur der Effekt auf den CO2-Fußabdruck untersucht, sondern auch die Auswirkungen auf die Bodenversauerung (durch Schwefel- und Stickstoffbelastung), das Algenwachstum in Gewässern und Meeren und der Flächen-/Landverbrauch. Einbezogen wurde die gesamte Produktionskette, vom Transport der Rohmilch (Kuhmilch) über die Verarbeitung inkl. zusätzlicher Komponenten (z.B. pflanzlicher Öle und Vitaminen) und dem erneuten Transport der fertigen Säuglingsnahrung bis zum Verkauf, zur Zubereitung und der Reinigung von Flaschen und Saugern.
Im Ergebnis zeigte sich, dass 4 Monate Fütterung von Säuglingsnahrung zu einem 38% höheren CO2-Ausstoß, einer 72% höheren Bodenbelastung (Versauerung), einer 35% - 59% höheren Belastung von Gewässern und Meeren sowie einem 53% höheren Landverbrauch führt als 4 Monate ausschließliches Stillen. Die Forscher führten allerdings aus, dass die Ernährung der stillenden Mutter die Umweltbelastung durch das Stillen mit beeinflusst: isst sie sehr fleischlastig, fällt ihre Bilanz schlechter aus als wenn sie sich stärker pflanzenbasiert ernährt.
Die Studie ist vollständig (englisch) → hier nachlesbar.
Ein Artikel vom Juni 2023, der von einem internationalen Team aus Australien, Großbritannien und Vietnam erstellt wurde, beschäftigt sich mit der Entwicklung eines Berechnungs-Tools (Green Feeding Tool), mit dessen Hilfe man die Auswirkungen des Stillens auf die Reduktion von Treibhausgasen greifbar machen kann. Das Tool versteht sich dabei auch als emanzipatorisch-feministischen Beitrag zur Sichtbarmachung des bedeutsamen Beitrags von Frauen bei der weltweiten Sicherstellung einer gesunden, nachhaltigen und umweltschonenden Ernährung.
Die Autor:innen beschreiben, dass weltweit Systeme etabliert werden, mit denen der industrielle Ausstoß von CO2 z.B. durch einen Zertifikatehandel begrenzt und finanziell kompensiert wird. Auch Privatpersonen können z.B. ihren CO2-Ausstoß beim Fliegen kompensieren. Allen diesen Systemen ist gemein, dass sie Projekte fördern, die zum Beispiel fossile Energien durch erneuerbare Energien ersetzen oder CO2-Reduktion durch Aufforstung erreichen. Für den Bereich der Ernährung gibt es jedoch bisher kaum Konzepte oder Projekte, dabei würde z.B. die Umstellung auf pflanzenbasierte, fleisch- und milchproduktarme Kost den CO2-Ausstoß weltweit deutlich verringern. Auch Stillen statt Formula-Gabe gehört in dieses Feld.
Die Autor:innen fordern die Politik auf, Stillen als aktiven Beitrag zur Senkung der Treibhausgas-Emmissionen einzubeziehen und entsprechende Stillförderprogramme aufzulegen. Zur Sichtbarmachung der Effekte auf den Klimawandel wird das Green Feeding Tool von ihnen entwickelt.
Der Artikel (englisch) ist vollständig → hier verfügbar.
Im August 2023 wurde dann schließlich das Green Feeding Tool veröffentlicht und die Organisation Alive & Thrive hat dazu eine umfassende → Presseerklärung herausgegeben, die die Zahlen und Fakten rund um den Vergleich von Formulanahrung und Stillen nochmals gut zusammenfasst. Innerhalb der Presseerklärung wird gleich im ersten Absatz auf das Green Feeding Tool verlinkt.
Der Artikel eines indischen Teams vom September 2023 fasst übersichtlich noch einmal zusammen, was bisher zur Auswirkung von künstlicher Säuglingsernährung auf Umwelt und Klimawandel bekannt ist:
• Enorme Produktion von Müll (Verpackungsmaterial, Flaschen und Sauger – teilweise als Einmalprodukte zum Wegwerfen konzipiert, z.B. in Kliniken – und auch das Verwerfen von überschüssiger Formulanahrung wenn das Baby nicht alles austrinkt)
• Hoher Energieverbrauch und Ausstoß von Treibhausgasen für Produktion und Zubereitung der Nahrung (beheizte Ställe, Melkmaschinen, Transport, Pasteurisierung und Homogenisierung, Trocknung des Milchpulvers, Verpackung, erneuter Transport, Einkauf, Zubereitung und Reinigung Zuhause)
• Einsatz von Chemikalien und Plastik für Produktion und Verpackung (Dünger und Pestizide für angebautes Tierfutter, Medikamente für Tiere, Plastik und Aluminiumfolie für Verpackungen, Plastik für Flaschen und Trinkgefäße, Gefahr von Mikroplastik für Meer- und Tierwelt)
• Abholzung/Rodung von großen Flächen für Land- und Viehwirtschaft, was nicht nur direkt den CO2-Ausstoß erhöht (wegen der fehlenden Bäume), sondern auch zu Bodenerosion, Wasserverschmutzung, Artensterben und schlechteren sozialen Bedingungen für Kleinbauern und nachhaltige Landwirtschaft führt
Die Autor:innen schlagen abschließend eine Reihe von Maßnahmen zur aktiven Stillförderung vor.
Den Artikel (englisch) können Sie vollständig → hier nachlesen.
© Februar 2024, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Simone Lehwald, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC