Stillen und Klimawandel: Stillförderung leistet einen wichtigen Beitrag
Anlage zum EISL-Newsletter Februar 2023
The interconnection of environment, climate change and infant nutrition
Smith, Elizabeth et al. & Nurses Climate Challenge/ Health Care Without Harm Europe. Three part series, 2022
Maternal and child nutrition must be at the heart of the climate change agendas
Pérez-Escamilla, Rafael et al. Matern Child Nutr, 2023; 19: e13444. DOI: https://doi.org/10.1111/mcn.13444
Das wichtigste in Kürze:
- Stillen hat nicht nur Auswirkungen auf die Entwicklung und Gesundheit von Mutter und Kind, sondern trägt aktiv zum Umwelt- und Klimaschutz bei. Wenn weltweit nach den Empfehlungen der WHO gestillt würde, wären die Auswirkungen auf das Klima stärker als wenn die weltweite Produktion auf erneuerbare Energien umgestellt würde.
- Gleichzeitig sind in Ländern, die bereits heute stark vom Klimawandel betroffen sind, Mütter und (Klein-)kinder unter den besonders betroffenen Gruppen. Flucht und Vertreibung führen häufig dazu, dass das Stillen nicht ausreichend unterstützt wird und somit die betroffenen Familien doppelt benachteiligt werden.
- Durch den Klimawandel steigt die Gefahr von (neuen) Infektionskrankheiten und erschwerter Hygiene, z.B. durch Hitzewellen oder Flutereignisse, auch in westlichen Ländern. Gestillte Kinder sind durch ihr besseres Immunsystem weniger vulnerabel und somit indirekt besser vor einigen negativen Folgen des Klimawandels geschützt.
Dass Stillen nicht nur auf individueller Ebene Bedeutung für die stillende Mutter und das Kind hat, rückt bereits seit einigen Jahren stärker ins Bewusstsein der Forschung.
Gesamtgesellschaftlich betrachtet sind zum Beispiel die Auswirkungen des Nicht-Stillens auf das Gesundheitssystem enorm (s. dazu z.B. die → Lancet-Serie von 2016).
Nicht-Stillen trägt jedoch auch zur Umweltzerstörung und zum Klimawandel bei: durch die Einsparung von Medikamenten (Produktion, Verpackung, Transport, Verkauf, Müll) und Behandlungen (Transport und räumliche Ressourcen) im Rahmen im Lancet genannten gesundheitspolitischen Veränderungen bestünde bereits ein erhebliches Potential. Entscheidender ist jedoch: der Herstellungsprozess von Muttermilch-Ersatzprodukten im großen Maßstab führt durch Tierhaltung, Transport, Verpackung und Müll etc. zu einer enormen Belastung. Der Wasser- und Energieverbrauch für die saubere Zubereitung, Erhitzung und Reinigung des Zubehörs addiert sich zu den vorigen Faktoren.
Stillen hat nicht nur Auswirkungen auf das Klima, umgekehrt hat der Klimawandel auch Auswirkungen auf das Stillen und auf Risiken, denen junge Familien ausgesetzt sind: Hitzwellen, Dürren, Stürme und Flutereignisse bedrohen nicht nur die Gesundheit und den Lebensraum der unmittelbar betroffenen Familien (was zu Flucht und/oder Migration führen kann), sondern haben auch Folgen für die Produktion von Nahrung und Lebensmitteln (z.B. durch Veränderungen in der Population von Insekten, Veränderungen der Fruchtbarkeit von Böden usw.). Höhere Produktionskosten und Preise für Lebensmittel wirken sich insbesondere auf ärmere und vulnerable Familien aus – häufig sind das gerade die Familien, die zuvor bereits durch Flucht oder Migration den Folgen des Klimawandels zu entkommen versuchten. Gerade diese Familien wären also darauf angewiesen, erfolgreich zu stillen, um Kosten zu sparen und weil sie nicht immer sichere und saubere Bedingungen zur Zubereitung von künstlicher Säuglingsnahrung zur Verfügung haben.
Einige aktuelle Beiträge fassen den Stand der Forschung zum Themenkomplex "Stillen und Umweltschutz/Klimawandel" in Artikeln zusammen:
Die dreiteilige Serie der schottischen Regierungsmitarbeiterin und Krankenschwester Dr. Elizabeth Smith richtet sich speziell an Pflegekräfte und will dazu beitragen, Hebammen und Pflegepersonal für die Bedeutung ihrer Arbeit auf den Klima- und Umweltschutz zu sensibilisieren. Sie wurde durch die Organisation "Nurses Climate Challenge Europe" veröffentlicht.
Teil 1 (→ The interconnection of environment, climate change and infant nutrition) beschreibt den Stand der Forschung zu den Zusammenhängen zwischen Stillförderung und Klimaschutz
Teil 2 (→ What individual nurses can do to support climate-smart infant feeding) befasst sich mit der Frage, was man als individuelle Pflegekraft oder Hebamme tun kann, um Stillen und andere umweltfreundliche Praktiken zu unterstützen
Teil 3 (→ Advocacy for climate-smart infant feeding) vermittelt Überlegungen und zeigt praktischeProjekt- Beispiele, wie Stillförderung auf einer politischen Ebene regional und national vorangebracht und unterstützt werden kann.
Das Editorial der Fachzeitschrift Maternal & Child Nutrition (Ausgabe 19,1; Jan. 2023) befasst sich ebenfalls mit dem Thema. Als Zusammenfassung von Studien ausschließlich aus den Jahren 2019 - 2022 stellt der Artikel eine äußerst aktuelle Übersicht über den Stand des Wissens dar, bei der es um die Frage geht, wie der Klimawandel sich auf die Gesundheit und Ernährungssituation von jungen Familien auswirkt. Auch hier ist eine effektive Stillförderung zentraler Teil der Antwort auf die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt.
Der → Artikel ist im open access Verfahren veröffentlicht und daher frei zugänglich.
Ergänzende Anmerkungen:
• Im deutschsprachigen Raum hat sich das → Netzwerk "SUS Baby" (Sicher und Satt) gebildet, das Informationsmaterial und Videos für Fachpersonal und Eltern in vielen verschiedenen Sprachen anbietet. Egal, ob Familien wegen Klimaereignissen oder aufgrund von Krieg oder Verfolgung in einer Krisensituation sind, ist die Sicherstellung der adäquaten Ernährung von Babys und Kleinkindern von hoher Priorität.
• Unsere Kollegin Stefanie Holtmann, IBCLC, hat im Rahmen ihrer EISL-Weiterbildung das Projekt → "Stillen ist prima – für Mutter, Kind und Klima" entwickelt. In ihrem Shop kann man Postkarten, T-Shirts und andere Produkte erhalten, die kurz und ansprechend über die Bedeutung des Stillens auf die Gesundheit von Mutter und Kind, aber auch auf Klima und Umwelt informieren.
• Wer sich als Gesundheitsfachkraft oder Gesundheitseinrichtung (Kliniken, Praxen usw.) für den Umweltschutz im eigenen Arbeits- und Einflussbereich einsetzen will, kann sich dem Netzwerk → "Health Care without Harm Europe" anschließen und dort Informationen über geplante Projekte erhalten. Eine weitere Möglichkeit stellt das Projekt → "Nurses Climate Challenge Europe" dar, das von der eben erwähnten Organisation Health Care without Harm unterstützt wird.
• Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) hat gemeinsam mit einigen anderen Fachgesellschaften ein → Plakat entwickelt, das in kinderärztlichen Praxen ausgehängt werden kann. Es greift neben anderen Vorschlägen, wie in der Praxis aktiv Umweltschutz betrieben werden kann, auch das Stillen auf.
© Februar 2023, Anja Bier, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Rhiannon Grill, IBCLC; Natalie Groiss, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC