Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Stillen beeinflußt das Risiko von Rezidiven einer Multiplen Sklerose positiv

Anlage zum Newsletter Januar 2020

Association Between Breastfeeding and Postpartum Multiple Sclerosis Relapses, A Systematic Review and Meta-analysis
Kristen M. Krysko, Alice Rutatangwa, Jennifer Graves, et al. JAMA Neurol. Published online December 9, 2019. DOI: https://doi.org/10.1001/jamaneurol.2019.4173

Information: Dieser Artikel enthält einige medizinische Fachbegriffe, die mit einem * markiert und ganz unten in einem Glossar erläutert sind

Der positive Einfluss der Laktation auf den Verlauf verschiedener Krankheiten konnte bereits wissenschaftlich belegt werden. Multiple Sklerose (MS) ist eine neurologische Erkrankung, die viele junge Frauen im gebärfähigen Alter betrifft, ursächlich ist die fehlerhafte Immunreaktion gegen das körpereigene Myelin*. Je nachdem wo die Schädigung liegt, können Sehstörungen, Muskelschwäche, Taubheit und Koordinations- sowie Gleichgewichtsstörungen auftreten. Die meisten MS-Patienten zeigen einen Verlauf in Schüben, die mit Phasen von Beschwerdefreiheit/ geringen Beschwerden abwechseln.

Die meisten MS-Therapien sind in der Schwangerschaft und Stillzeit nicht zugelassen. In der Schwangerschaft kommt es oft durch die Veränderung im Immunsystem zu einer Symptomverbesserung, häufig ist jedoch mit Krankheitsrezidiven in der postpartalen Periode zu rechnen. Ungeklärt war bisher, ob Stillen einen positiven Einfluss auf die Rezidivrate einer MS hat.

In einem aktuellen Review mit Meta-Analyse wurden insgesamt 24 Studien aufgenommen, die zusammen 2974 Patientinnen eingeschlossen haben. Es konnte eine geringere Anzahl an Rezidiven unter solchen Frauen, die stillten im Vergleich zu solchen die nicht stillten, verzeichnet werden. Zusätzlich zeigte sich ein deutlicher Vorteil bezogen auf ausschließliches Stillen im Vergleich zu Teilstillen.

Die Odds Ratio* für ein MS-Rezidiv unter Stillen im Vergleich zu Nicht-Stillen lag bei 0.63 (95% CI, 0.45-0.88; p=0.006). Im Durchschnitt also hatte eine stillende Frau mit MS ein 37% geringeres Risiko ein Rezidiv zu erleiden, als solche die nicht stillten. Wenn man nur die vier aktuellsten, hoch qualitativen Studien als Grundlage zur Bewertung einschließt, war die Risikoreduktion noch etwas größer, nämlich bei 43%.

Es zeigte sich eine moderate Heterogenität* (I2=48%), welche die AutorInnen durch Unterschiede in der Rezidivrate vor der Schwangerschaft, des Follow-up-Zeitraums und des Jahres der Publikation erklärten. Die Studien wurden mit einem moderaten bis starken Bias-Risiko* bewertet. Insgesamt jedoch bestätigte sich der positive Einfluss des Stillens auf die MS- Rezidiv-Rate in der Sensitivitätsanalyse*.

Unklar ist aktuell, wodurch der protektive Effekt des Stillens entsteht.

Zusammenfassend zeigt sich das Stillen als schützend vor postpartalen Rezidiven einer Multiplen Sklerose. Wünschenswert wären zusätzliche randomisierte prospektive Studien, um mehr Evidenzen zu erhalten.

Frauen mit MS sollten in der Schwangerschaft ein Gespräch mit ihrem Neurologen zur Aufklärung und Planung der Pospartum-Zeit suchen. Der potentiell protektive Effekt des Stillens sollte dabei angesprochen werden.

Das Abstract der Studie (englisch) finden Sie → hier.

Myelin: Biomembran, die Nervenstränge umhüllt und dadurch zu einer schnelleren Reizweiterleitung beiträgt.

Odds Ratio (OR): relatives Risiko einer Probandengruppe gegenüber einer anderen Gruppe (z.B. bedeutet eine OR von 0.5, dass das Risiko halbiert ist)

Heterogenität: wenn in einer Meta-Analyse verschiedene Studien zusammengefasst werden, sind diese unterschiedlichen Studien nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar, z.B. weil die Studien an unterschiedlichen Patientengruppen durchgeführt wurden, unterschiedliche Grenzwerte festgelegt wurden oder verschiedene Untersuchungsverfahren verwendet wurden. Je heterogener die eingeschlossenen Studien in eine Meta-Analyse sind, umso höher die Anfälligkeit für Fehlinterpretationen. Eine möglichst geringe Heterogenität (die Studien ähneln einander im Aufbau und in der Auswahl der Probanden etc.) ist wünschenswert, um fundierte Aussagen treffen zu können.

Bias-Risiko: Ein Bias stellt einen systematischen Fehler dar, der typischerweise durch das Studiendesign entsteht. Dieser kann zu einer Verzerrung der Ergebnisse führen, wodurch die Aussagekraft der Studie gefährdet ist.

Sensitivitätsanalyse: Verfahren, mit dem man testet, ob die Aussagen einer Meta-Analyse auch dann stabil bleiben, wenn man einzelne Studien ausschließt (z.B. nur die mit einer schlechteren Qualität oder nur die mit einer höheren Qualität). Bleibt die Kernaussage auch dann stabil, kann man davon ausgehen, dass sie zutreffend ist.

© Januar 2020, Dr. med. Josefine Theresia Königbauer (Fachärztin für Frauenheilkunde und IBCLC) und Anja Bier (IBCLC) für den Newsletter des Europäischen Instituts für Stillen und Laktation

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