Stillen beeinflusst die mütterliche psychische Gesundheit
Anlage zum EISL-Newsletter Januar 2021, Ergänzung Oktober 2021
Dass Stillen messbare positive Auswirkungen auf die kindliche und mütterliche körperliche Gesundheit hat, ist seit langem bekannt und wird stetig weiter erforscht. Inwiefern jedoch auch Einfluss auf die psychische Gesundheit von Mutter und Kind genommen wird, ist noch nicht so häufig Thema.
Schwangerschaft und Geburt haben im Lebenszyklus einer Frau große Bedeutung, als sogenanntes „Life event“ – mit grundlegenden Konsequenzen für ihre persönliche Entwicklung, ihre Partnerschaft, ihr Familienleben, ihr berufliches Engagement und ihre psychosoziale Identität. Innerhalb kurzer Zeit müssen auf unterschiedlichen Ebenen enorme Anpassungsleistungen vollzogen werden. Dieser Prozess birgt auch Risiken für die psychische Gesundheit der schwangeren Frau bzw. Mutter: Depressionen und Ängste, die häufig gemeinsam auftreten, spielen während dieses Lebensabschnitts als peripartale Depressionen eine bedeutende Rolle.
Unten finden Sie den aktuellen Stand des Wissens bezüglich der Bedeutung des Stillens auf die mütterliche Gesundheit. Es bestätigt sich erneut die Wichtigkeit von guter Stillberatung, die nicht nur auf fachlicher, sondern auch auf kommunikativer Kompetenz beruht.
Breastfeeding difficulties and supports and risk of postpartum depression in a cohort of womenwho have given birth in Calgary: a prospective cohort study
K. Chaput, A. Nettel-Aguirre, R. Musto, C. Adair, S. Tough. CMAJ open, March 21, 2016 vol. 4 no. 1 E103-E109. doi: 10.9778/cmajo.20150009
Bereits im Juni 2016 berichteten wir über diese Studie unter der Überschrift:
→ Gute Stillberatung ist wichtig – Studie zu postpartalen Depressionen bestätigt den Bedarf
Eine ältere Studie von 2011 kam zu ähnlichen Ergebnissen:
Early Breastfeeding Experiences and Postpartum Depression
Watkins, Stephanie et al. Obstetrics & Gynecology: August 2011 - Volume 118 - Issue 2 Part 1 - p 214-221 doi: 10.1097/AOG.0b013e3182260a2d
Ganz aktuell bestätigt nun eine große Studie aus den USA nochmals deutlich den Zusammenhang zwischen Stillen und PPD: Für die Studie wurden 29.685 amerikanische Frauen aus 29 Staaten befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen, die stillten, ein signifikant geringeres Risiko hatten an einer PPD zu erkranken als Frauen, die nicht stillten.
Die Forscher fanden auch heraus, dass auch die Dauer des Stillens das Erkrankungsrisiko senkte. Interessanterweise gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen dem anfänglichen Wunsch zu stillen (ja/nein/unsicher). Die Studie ist nicht kostenfrei verfügbar, es gibt aber einen zusammenfassenden → Artikel bei ScienceDaily dazu. Hier geht es direkt zur Studie:
The significance of breastfeeding practices on postpartum depression risk
Toledo, C., Cianelli, R., Villegas Rodriguez, N., De Oliveira, G., Gattamorta, K., Wojnar, D., & Ojukwu, E. Public Health Nursing, 00, 1− 9. DOI: https://doi.org/10.1111/phn.12969
Erfolgreiches Stillen ist für Frauen mit Erfahrungen von sexuellem Missbrauch in der Vergangenheit besonders bedeutsam: diese Frauen sind gefährdeter für psychische Erkrankungen, auch für Postpartale Depressionen (PPD). Eine Studie konnte 2013 zeigen, dass auch für diese spezielle Gruppe von Müttern erfolgreiches Stillen das Risiko für eine PPD senkt:
Depression, Sleep Quality, and Maternal Well-Being in Postpartum Women with a History of Sexual Assault: A Comparison of Breastfeeding, Mixed-Feeding, and Formula-Feeding Mothers
Kathleen Kendall-Tackett, Zhen Cong, and Thomas W. Hale.Breastfeeding Medicine.Feb 2013.16-22. http://doi.org/10.1089/bfm.2012.0024
In dieser Studie wird außerdem deutlich, dass diese spezielle Müttergruppe auch gefährdet ist, generell schlechter zu schlafen - was wiederum Auswirkungen auf die psychische Gesundheit hat, da eine schlechte Schlafqualität postpartale Depressionen verschärfen kann. Dass Mütter von Säuglingen meist ohnehin nicht mit einer hohen Schlafqualität verwöhnt sind, macht die Lage natürlich nicht besser – was manchmal zu dem Trugschluss führt, zu glauben, nicht-stillende Frauen wären weniger gefährdet, weil sie vermeintlich besser schlafen.
Einige Studien konnten hingegen zeigen, dass stillende Mütter mehr Schlaf erhalten als nicht-stillende Mütter:
The Effect of Feeding Method on Sleep Duration, Maternal Well-being, and Postpartum Depression
Kendall-Tackett, Kathleen, Cong, Zhen, Hale, Thomas W. Clinical Lactation 2011, Vol 2 Issue 2. DOI: 10.1891/215805311807011593 (die Studie ist dort vollständig und frei zugänglich als PDF erhältlich)
Nighttime breastfeeding behavior is associated with more nocturnal sleep among first-time mothers at one month postpartum
Doan, T., Gay, C. L., Kennedy, H. P., Newman, J., & Lee, K. A. Journal of clinical sleep medicine 2014: JCSM : official publication of the American Academy of Sleep Medicine, 10(3), 313–319. https://doi.org/10.5664/jcsm.3538
Die positiven Auswirkungen des direkten Haut-zu-Haut-Kontakts auf die Gesundheit des Säuglings sind vielfältig untersucht und belegt (dazu beispielsweise unser → Artikel vom Mai 2020 inkl. dem dort verlinkten weiteren ausführlichen Artikel zum Hautkontakt bei Neugeborenen). Der intensive Hautkontakt wirkt sich jedoch auch auf die Mutter aus: Kangoroo-Care mit Frühgeborenen senkt den Stresslevel bei der Mutter, wie z.B. eine Studie 2015 berichtete:
Parental Stress before and after Skin-to-Skin Contact in the NICU
Natalia Isaza, M.D, Children´s National Health System, Washington, DC. Presented at the AAP National Conference 2015. https://aap.confex.com/aap/2015/webprogrampreliminary/Paper30863.html
Zur Behandlung von PPD bei stillenden Müttern gibt es auch ein ABM-Protokoll, das zuletzt 2015 aktualisiert wurde. Auch dort wird auf die Zusammenhänge zwischen guter Stillberatung und der Senkung des Risikos für postpartale Depressionen hingewiesen: Frauen mit guten Stillerfahrungen sind weniger gefährdet.
ABM Clinical Protocol #18: Use of Antidepressants in Breastfeeding Mothers
Natasha K. Sriraman, Kathryn Melvin, Samantha Meltzer-Brody, and the Academy of Breastfeeding Medicine.Breastfeeding Medicine.Jul 2015.290-299. http://doi.org/10.1089/bfm.2015.29002
© Januar + Oktober 2021, Anja Bier (IBCLC) und Natalie Groiss (IBCLC)
und das EISL-Newsletter-Team: Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC