Stillen und Bindung: Stillprobleme als Risikofaktor
Anlage zum EISL-Newsletter Juli 2023
Breastfeeding and Bonding: A Surprising Role of Breastfeeding Difficulties
Ondrušová, S. Breastfeeding Medicine, published online 17.06.2023. DOI: https://doi.org/10.1089/bfm.2023.0021
Das wichtigste in Kürze:
- Stillen beeinflusst auf vielfältige Weise die Bindung zwischen Mutter und Kind. Aus früheren Studien wissen wir, dass Frauen mit Stillproblemen ein erhöhtes Risiko für Postpartale Depressionen haben.
- Eine neue Studie zeigt, dass Schwierigkeiten beim Stillen auch die Bindung zwischen der Mutter-Kind-Dyade beeinträchtigen können, während das ausschließliche, problemlose Stillen eine gute Bindung fördert.
- Eine gute Stillunterstützung reduziert Stillprobleme und fördert damit nicht nur die Gesundheit von Mutter und Kind durch das Stillen selbst, sondern stellt aktive Bindungsförderung dar.
- Der Griff zur Flasche bei Stillproblemen kann die Bindungsentwicklung gefährden, wohingegen der bewusste und gewollte Einsatz ohne Stillschwierigkeiten kein Risiko darstellt.
Bislang haben nur wenige Studien den Zusammenhang zwischen Stillproblemen und Bindung untersucht. Häufig wurde dabei nicht unterschieden, ob und wie gestillt wurde. Dies machte es schwierig, die Studien zu interpretieren und führte zu inkonsistenten Ergebnissen.
Weitaus besser untersucht ist hingegen der Zusammenhang zwischen dem vorzeitigen Beenden des Stillens und dem Auftreten einer postpartalen Depression (PPD). PPD ist wiederum mit Schwierigkeiten für die Mutter-Kind-Bindung vergesellschaftet. Stillschwierigkeiten, postpartale Depressionen und Störungen beim Bindungsaufbau scheinen demnach miteinander in engem Zusammenhang zu stehen.
Das Ziel der aktuellen Studie war es, zu untersuchen, ob und wie Probleme beim Stillen mit der Mutter-Kind-Bindung zusammenhängen. Auf der Grundlage aktueller Forschung wurden folgende Hypothesen aufgestellt:
Hypothese 1: Stillprobleme stellen ein Risiko für die Mutter-Kind-Bindung dar.
Hypothese 2: Mütter, die ihr Kind mit der Flasche füttern, haben eine höhere Beeinträchtigung der Bindung zu ihrem Kind.
Es wurde ein Fragebogen erstellt, der 685 Frauen über 18 Jahren mit einem Baby im Alter von 1 - 24 Wochen in der Slowakei und der Tschechischen Republik einschloss und mittels sozialer Medien verbreitet wurde. Neben demografischen Angaben wurden auch Informationen über die Schwangerschaft, die Geburt sowie psychosoziale Faktoren (Zufriedenheit mit ihrer Beziehung, Erfahrungsaustausch und Gefühle zu Beginn der Schwangerschaft) erfragt.
Es wurden acht Ernährungskategorien erstellt. Mehr als die Hälfte der Kinder (55,5%) wurden zum Zeitpunkt der Abfrage ausschließlich gestillt, jedoch in der Vergangenheit für kurze Zeit (weniger als eine Woche (n=353)) bzw. mehr als eine Woche (n=41) zugefüttert. 20% der Frauen fütterten zum Zeitpunkt der Befragung zusätzlich zum Stillen abgepumpte Milch, Formula oder gaben bereits Beikost. 19,6% der Kinder wurden ausschließlich mit Formula mittels Flaschenfütterung ernährt.
Des Weiteren wurden acht Stillprobleme ermittelt. Interessanterweise war die Zahl der Mütter, die Schwierigkeiten angaben mit 90,4% sehr hoch. Ungefähr zwei Drittel sahen sich zum Zeitpunkt der Befragung mit mindestens einem Stillproblem konfrontiert. Die häufigsten Schwierigkeiten waren Schmerzen in der Brust oder an den Mamillen (65,7%), gefolgt von Milchstau (45%) und Unruhe des Kindes an der Brust (40,7%). Weitere Probleme waren Milchmangel (35,2%), Andockschwierigkeiten (29,2%), Mastitis (20,4%) und die Verwendung eines Stillhütchens (20,1%). Das am seltensten auftretende Problem war die Abszessbildung mit 2%.
Stillschwierigkeiten und die Auswirkungen auf die Bindung
Anschließend wurde versucht, die beiden oben genannten Hypothesen zu überprüfen. Die Forscher:innen fanden heraus, dass Frauen, die Stillprobleme angaben, ebenfalls häufiger über eine beeinträchtigte Bindung berichteten.
Die Forscher:innen wollten auch wissen, ob die Anzahl der aktuell oder in der Vergangenheit erlebten Stillschwierigkeiten mit der Beeinträchtigung der Bindung korreliert. In diese Analyse wurden nur die vier Probleme einbezogen, die signifikant mit der Beeinträchtigung der Bindung zusammenhingen (Milchstau, unruhiger Säugling, geringe Milchmenge und Andockschwierigkeiten). Das Ergebnis zeigte, dass die Beeinträchtigung der Bindung umso höher war, je häufiger dieser Probleme auftraten. Dass gerade diese vier Stillprobleme einen solchen Effekt hatten, erklären sich die Forscher:innen damit, dass Schwierigkeiten mit der Milchmenge und Probleme beim Anlegen häufiger zu einem unzufriedenen/ weinenden Baby führen und für Mütter vermehrt mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit oder Hilflosigkeit verbunden sind. "Klassische" Probleme mit Mastitiden oder schmerzende Mamillen hingegen zeigten den Effekt nicht – hier kann vermutet werden, dass die Mütter solche Probleme eher als medizinisches und lösbares Problem betrachteten.
Art der Fütterung und die Auswirkungen auf die Bindung
Bei der Prüfung der zweiten Hypothese (Ernährung mit der Flasche) konnte als einziger signifikanter Unterschied festgestellt werden, dass bei Kindern, die ausschließlich gestillt werden (oder maximal 1 Woche Zufütterung) keine Bindungsbeeinträchtigung zu finden ist. Hingegen besteht dieses Risiko bei denen, die länger als eine Woche zugefüttert wurden.
Dies zeigt deutlich, was schon lange vermutet wird: nicht nur, dass ausschließlich gestillte Mutter-Kind Paare bessere Bindungserfahrungen machen, sondern auch, dass es beim Auftreten von Stillschwierigkeiten nicht die beste Lösung ist, automatisch zur Flasche zu greifen. Denn Flaschenfütterung in Folge von Stillproblemen ist ein Risikofaktor, um Störungen beim Bindungsprozess zu verursachen. Viel wichtiger sind eine professionelle Unterstützung und Begleitung bei der Lösung des Problems.
Fazit
Die fehlende Berücksichtigung von Faktoren wie Stillproblemen und früher Zufütterung (In welchem Umfang? Aus welchen Gründen?) könnte erklären, warum manche frühere Studien einen Zusammenhang zwischen Stillen und Bindung feststellen konnten und andere nicht.
Die Studienautorin schlussfolgert, dass die beste Lösung bei Stillproblemen aus einer adäquaten und praktischen Unterstützung durch eine Stillberater:in besteht. Auch der Griff zur Flasche sollte gut überlegt werden, denn während für einige Mütter die Verwendung von Formula eine akzeptable Lösung sein kann, führt die Zufütterung in manchen Fällen sogar zu einer Verschlimmerung der Situation. Dies gilt vor allem dann, wenn die Mutter einen besonders starken Stillwunsch hatte und das Zufüttern von Formula für sie primär keine Option darstellte.
Das frühere Beenden des Stillens als erwartet und/oder von der Mutter gewünscht, zeigte auch in einer anderen Studie von Brown et al. einen Zusammenhang mit PPD, die wiederrum ein erhöhtes Risiko für Bindungsschwierigkeiten mit sich bringt. (Brown et al., 2016)
Wird Frauen in ihrer Situation keine angemessene Stillhilfe angeboten, so kann sogar die Beendigung des Stillens für manche die bessere Lösung sein, da dem Schlussstrich manchmal ein Gefühl der Erleichterung und des Abschlusses folgt. In diesem Zusammenhang fanden Stuebe et al. (2014) heraus, dass zwei Drittel der Mütter mit Stillproblemen Schwierigkeiten hatten, entsprechende Hilfe zu bekommen – nur eine von vier Frauen hatte das Gefühl, die benötigte Unterstützung erhalten zu haben. Schwierigkeiten zu überwinden, führt nicht nur zu einer Erleichterung, sondern steigert auch die Stillselbstwirksamkeit („Breastfeeding Self-Efficacy), was wiederum die Bindung zum eigenen Kind stärkt. Lesen Sie noch mehr zum Thema zum Beispiel → hier.
Die aktuelle Studie steht nicht vollständig kostenfrei zur Verfügung, Sie können jedoch das Abstract → hier nachlesen.
© Juli 2023, Natalie Groiss, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC