Stillförderung auf der Neonatologie: eine aktuelle Meta-Analyse
Anlage zum EISL-Newsletter Februar 2023
Neonatal Intensive Care Unit Interventions to Improve Breastfeeding Rates at Discharge Among Preterm and Low Birth Weight Infants: A Systematic Review and Meta-Analysis
Tong Song, Jia et al. Breastfeeding Medicine, Volume 18, Number 2, 2023.
DOI: https://doi.org/10.1089/bfm.2022.0151
Das wichtigste in Kürze:
- Eine große Zahl von Neugeborenen werden weltweit zur früh oder mit einem sehr niedrigen Geburtsgewicht geboren. Die Etablierung des erfolgreichen Stillens ist für die Mütter dieser Kinder oft mit großen Herausforderungen verbunden.
- Eine aktuelle Meta-Analyse hat untersucht, welche Maßnahmen auf neonatologischen Stationen zu einer Förderung des Stillens beitragen. Dabei wurden 6 verschiedene Maßnahmen genauer untersucht.
- Besonders effektiv war die Einführung des ausgedehnten Hautkontakts (Kangaroo Mother Care, KMC). Auch die Schulung von Eltern und Fachpersonal zeigte sich als hilfreich.
Jedes Jahr werden weltweit schätzungsweise 15 Millionen Kinder unter der 37. Schwangerschaftswoche geboren und gelten somit als Frühgeburt. Auch die Zahl der sogenannt LBW (Low Birth Weight) Kinder ist erschreckend hoch. Ein Geburtsgewicht von unter 2500g zieht häufig schwere gesundheitliche Probleme mit sich, einschließlich einer höheren Sterblichkeit.
Muttermilch ist für Frühgeborene und LBW-Kinder nicht nur Nahrung. Vielmehr ist sie ein hochwirksames Therapeutikum, dass eine regelrechte und artgerechte Entwicklung ermöglicht. Dies wird deutlich, wenn wir sehen, welche enormen kurz- und langfristigen Auswirkungen das Saugen und die Ernährung mit Muttermilch haben. Muttermilchernährte Kinder können die Klinik deutlich früher verlassen, haben weniger schwere Komplikationen wie NEC oder Sepsis und haben eine bessere psychomotorische Entwicklung.
Die Liste der Bedeutung des Stillens ließe sich noch lange fortsetzten, doch welche Maßnahmen führen überhaupt dazu, dass Frühgeborene und LBW-Kinder zum Zeitpunkt der Entlassung und auch noch darüber hinaus gestillt werden können?
Diese Frage stellte sich ein kanadisches Forscherteam und verglich dazu im Rahmen einer Meta-Analyse 42 Studien. Zunächst wurden sechs verschiedene Interventionen definiert, diese waren:
1. Arbeitsstandards, die das Stillen unterstützen
2. Programme zur Schulung von Eltern und Personal
3. Kangaroo Mother Care (KMC)
4. Orale Stimulation
5. Gabe von Bechern und künstlichen Saugern
6. Frühe Entlassung aus der Klinik
Die Wirksamkeit der Interventionen wurde bei der Entlassung, nach 3 Monaten und nach 6 Monaten überprüft.
In 12 der 42 Studien wurden entsprechende Arbeitsstandards beschrieben. Beispielsweise Zufütterungs-Standards, Integration von Eltern in die Pflege ihres Kindes, Anwesenheit von Stillberater:innen oder die Umsetzung der 10 Schritte (BFHI). Dabei fiel besonders auf, dass bei den Zufütterungs-Standards zwei Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen: Während Burnham et al. keinen Unterschied in den Stillraten bei Einführung eines Zufütterungs-Standards beobachten konnten, fanden Low et al. eine Verbesserung sowohl der Teil- als auch der Vollstillraten zum Zeitpunkt der Entlassung. Bei näherer Betrachtung wird klar, warum das so ist: Low et al., 2016 legten in ihrer Studie großen Wert auf die frühe Einführung der Ernährung mit Muttermilch, hingegen wurde in der Untersuchung von Burnham et al., 2018 dem frühen Stillen keine Bedeutung beigemessen.
Die zweithäufigste Maßnahme waren Programme zur Schulung von Eltern und Personal. In der überwiegenden Mehrheit führten solche Schulungsprogramme zu einer höheren Stillraten bei der Entlassung, sowie 3 und 6 Monate nachdem Klinikaufenthalt.
Mit sieben inkludierten Studien war KMC mit ausgedehntem Hautkontakt die dritthäufigste eingeführte Maßnahme. Alle sieben Untersuchungen zeigten eine (zum Teil dramatisch) höhere Stillrate im Vergleich zur Kontrollgruppe. Zum Thema "Bedeutung des Hautkontakts" lesen Sie auch unseren → Artikel von 12/2019
Die Orale Stimulation (Streichen von Wangen, Lippen, Kinn und Zunge; Saugen am Schnuller oder Finger) wurde in fünf Studien untersucht. Dabei zeigte sich eine höhere Rate bei jeglichem Stillen, hinsichtlich der Rate des Vollstillens konnte kein signifikanter Unterschied festgestellt werden.
Bei der Gabe von künstlichen Saugern (einschließlich Schnuller) zeigte sich ein negativer Effekt auf das Stillen. Beim Vergleich zwischen Flaschensaugern und Becherfütterung konnte das Vollstillen zum Zeitpunkt der Entlassung signifikant öfter erreicht werden. Nach drei und sechs Monaten kamen die Untersuchungen zu gemischten Ergebnissen.
Die frühe Entlassung mit dem Ziel, psychischen Stress zu reduzieren und stattdessen die Mutter-Kind Bindung zu stärken, wurde in drei Studien unter die Lupe genommen. Dabei konnte nur in einer Studie eine höhere Rate an vollgestillten Kindern nachgewiesen werden. Die beiden anderen Studien zeigten keinen wesentlichen Unterschied zur Kontrollgruppe.
Zusammenfassend kann geschlussfolgert werden, dass eine Reihe von Maßnahmen bei Frühgeborenen und LBW-Kindern zu höheren Stillraten sowohl bei der Entlassung als auch drei und sechs Monate danach führen. Besonders hervorstechend war dabei der intensive Hautkontakt (KMC) als einfache und äußerst effektive Maßnahme. Mit vergleichsweise geringen Mitteln und wenig Aufwand, konnte eine deutliche Steigerung der Stillraten beobachtet werden. Der Einsatz von künstlichen Saugern und dem Schnuller hatten hingegen keinen positiven Effekt.
Die Studie ist leider nicht vollständig frei zugänglich, das Abstract finden Sie → hier.
© Februar 2023, Natalie Groiss, IBCLC
und das EISL-Newsletter-Team:
Anja Bier, IBCLC; Rhiannon Grill, IBCLC; Gabriele Nindl, IBCLC; Gudrun von der Ohe, IBCLC