Europäisches Institut für Stillen und Laktation

Väter, Partner und Partnerinnen in der Stillzeit

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Letzte Aktualisierung dieser Seite: 09/2024

Familie ist für viele der Inbegriff von Geborgenheit und Sicherheit, ein wohlbehütetes Nest für Kinder. Die Rollenverteilung innerhalb der Familie unterliegt einem stetigen Wandel über Kulturen und Epochen hinweg. Die traditionelle Familienform von Vater – Mutter – Kind(ern) wird ergänzt von Familien mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen: Patchworkfamilien, alleinerziehende bzw. getrenntlebende Eltern, Großfamilien, Bonus-Eltern, Familien aus unterschiedlichsten Kulturkreisen mit unterschiedlichen Familiensystemen, LGBQTIA+ Familien (lesbian, gay, bisexual, transsexual, queer, intersex, asexual), Adoptions- und Pflegefamilien. Die Schaffung eines sicheren, akzeptierenden, integrativen und einladenden Umfelds ist für alle Menschen von zentraler Bedeutung. Dabei geht es nicht darum, die Mütter zu unterstützen, sondern als gleichwertiger Part in der Familie zu agieren, denn Elternschaft ist eine gemeinsame Verantwortung.

Viele Väter, Partner und Partnerinnen möchten sich intensiv an der Betreuung beteiligen und eine gute Bindung zu ihren Kindern aufbauen. Sie begleiten ihre Partnerin aktiv in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett und informieren sich darüber, wie sie sich einbringen können. Dies steigert die Zufriedenheit und stärkt die Beziehung aller Familienmitglieder, was in Folge die Stillbeziehung positiv beeinflusst.
Historisch und neurowissenschaftlich betrachtet, gibt es keinen angeborenen Mutterinstinkt. Mütter werden zwar durch Schwangerschaft und Geburt aus rein physiologischer Sicht auf ein entsprechendes Fürsorgeverhalten vorbereitet, jedoch können auch nicht leibliche Eltern geschlechtsunabhängig liebevolle und umsorgende Bezugspersonen für ein Kind sein. Erst durch "Learning by Doing" wird Elternkompetenz enwickelt (Rösler & Höllrigl Tschaikner, 2023).
So konnte bereits 2014 eine israelische Studie zeigen, dass unabhängig von Geschlecht, biolgischer Elternschaft und Sexualität durch das Zusammenleben und die Fürsorge für ein Baby hormonelle und neurobiologische Veränderung eintraten. Dies bedeutet, dass Bindung unabhängig davon entsteht, in welcher Beziehung der Elternteil zum Kind steht. Weitere Studien konnten zeigen, dass Kinder, die in LGBTQIA+ Familien leben, sich genauso gut entwickeln wie Kinder, die in heterosexuellen Familiensystemen unterschiedlichen Geschlechts aufwachsen (Lawrence & Lawrence, 2022:646 ff).

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    © A. Bier
  • © S. Townsend

Väter, Partner und Partnerinnen im Fokus der Forschung

Seit einigen Jahren rücken Väter und Partner:innen vermehrt ins Bewusstsein der Forschung. Ihr Einfluss auf die Mutter-Kind-Bindung und Stillbeziehung wird wissenschaftlich untersucht.
Studien bestätigen, dass die Einbindung des nicht stillenden Elternteils in Stillinterventionen die Raten des Stillbeginns, die Stilldauer und die Dauer des exklusiven Stillens verbessert. Persönliche Beratungen, welche die kulturelle Situation berücksichtigen und Informationen enthalten wie Partner:innen Teil des Stillteams werden, zeigen einen stärkeren positiven Effekt (Abbass-Dick et al.). Pränataler Unterricht mit einer sensiblen, respektvollen und inklusiven Sprache, sowie postnatale Unterstützung, die sich ganz gezielt an die Partner:innen richtet, zeigte eine signifikante Erhöhung der Stillraten mit 6 Wochen (ABM Protocol #19, 2015; Maycock et al.).
Je besser Väter und Partner:innen informiert sind, desto eher können individuelle Stillziele erreicht oder sogar übertroffen werden. Dafür sind folgende Informationen hilfreich:

  • Allgemeine Informationen über Schwangerschaft und Geburt
  • Bedeutung des Stillens für Mutter, Kind, Familie und Gesellschaft
  • Bausteine für einen guten Stillbeginn
  • Alternative Zu- und Fütterungsmethoden
  • Bedeutung und Maßnahmen zur Stärkung des Bindungsaufbaus
  • Einfluss des Stillens auf das Sexualleben
  • Leben mit einem Baby – Rollenbilder – Mental Health

Perinatal breastfeeding interventions including fathers/partners: A systematic review of the literature
J. Abbas-Dick et al. Midwifery, Vol. 75, 2019, P. 41-51
https://doi.org/10.1016/j.midw.2019.04.001

Diese systematisch Review-Arbeit untersuchte Studien, die explizit Väter bei Maßnahmen zur Stillförderung einschlossen, z.B. Stillvorbereitungskurse für Paare, Väter-Abende an Geburtskliniken o.ä. Alle eingeschlossenen Studien zeigten eine Verbesserung der Gesamt-Stilldauer und/oder der Dauer des ausschließlichen Stillens.

The role of fathers during breastfeeding
F. deMontigny PhD et al. Midwifery, Vol. 58, 2018, P. 6-12.
https://doi.org/10.1016/j.midw.2017.12.001

In dieser qualitativen Studie drückten Väter aus, wie sie selbst ihre Rolle erleben und wo sie Möglichkeiten sehen, sich einzubringen, wenn ihr Kind gestillt wird. Dabei beschrieben sie ihre Aufgabe als deutlich komplexer als lediglich "Unterstützer" des Stillens zu sein. Häufig betrachteten sie sich als Interessenvertreter des Kindes und beanspruchten Teilhabe am Entscheidungsprozess, wie das Kind ernährt wird. Sie informierten sich über das Stillen, unterstützten ihre stillende Partnerin emotional, aber ebenso auch in praktischen Dingen und sahen sich in der Verantwortung, selbst aktiv eine Bindung zum Kind aufzubauen.

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    © P. Schütz
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    © AdobeStock/ anoushkatoronto

Postpartale Depression bei Vätern?

Studien zeigen, dass auch Väter ein erhöhtes Risiko für postpartale Depressionen (PPD) und Angststörungen nach der Geburt haben, was auch Auswirkungen auf ihre Vater-Kind-Bindung und den gesamten Erziehungs- und Lebensstil der Familie hat.

Im Gegensatz zur mütterlichen PPD wird diese jedoch von Fachkräften bei Vätern wesentlich seltener wahrgenommen. Selbst wenn erkannt wird, dass eine Auffälligkeit vorliegt, wird seltener Handlungsbedarf gesehen. Eine 2019 veröffentlichte Studie beschäftigt sich mit diesem Problemfeld:

Mental health literacy of maternal and paternal postnatal (postpartum) depression in British adults
V. Swami et al. Journal of Mental Health, Vol. 28, 2019
https://doi.org/10.1080/09638237.2019.1608932

In dieser Studie wurde ein Querschnitt aus der britischen Bevölkerung (daher überwiegend Laien/ keine medizinischen Fachkräfte) zu Fallbeispielen mit Anzeichen für eine postpartale Depression befragt. Deutlich häufiger wurde eine PPD vermutet, wenn der beschriebene Fall eine weibliche Person schilderte, selbst wenn die Fallbeschreibung sich sonst an keinem Punkt zur Schilderung einer männlichen Person unterschied. Dies zeigt, wie verbreitet in der Gesellschaft das Bewusstsein für postpartale Depressionen als typisch weibliches Phänomen vorherrscht und dass uns als Fachkräften dadurch eine noch höhere Verantwortung zukommt, auch Väter achtsam wahrzunehmen.

Familien insgesamt profitieren davon, wenn alle Beteiligten – Mütter, Väter, Partner:innen und weitere Bezugspersonen – in ihren Bedürfnissen wahrgenommen werden. Wenn ein neues Baby in die Familie kommt, schafft das häufig eine vulnerable Situation, in der nicht immer alle Herausforderungen vom Familiensystem alleine bewältigt werden können.
Professionelle Unterstützung, z.B. durch Familienberatungsstellen, familylab-Berater:innen, Emotionelle Erste Hilfe und andere Angebote können hier hilfreich sein.

Weiterführendes Material und Infoblätter für Eltern

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